12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Sehnsucht nach einer archaischen Welt, nach Mythen und Mysterien, auf der Suche nach seinem<br />

Selbst. Doch das hat er auch im Moskauer Exil, seine Autobiographie schreibend, nicht vergessen:<br />

Einmal belauschte er Flößer in der Nacht beim Märchenerzählen, und „so enthielt nun der<br />

summende, breite, lässige Rhytmus des erzählenden, alten, ungarischen Bauern ... alles, alles, wonach<br />

es mich drängte“. 78<br />

Seine Nachmittage aber verbringt der Schüler, wenn nicht beim Schwimmen oder im Fechtsaal, in<br />

der Bibliothek, bei der Lektüre klassischer und zeitgenössischer Literatur. Längst hat er beschlossen,<br />

Schriftsteller zu werden, hin und hergeworfen zwischen der begeisternden Erfahrung moderner<br />

Literatur und der Mahnung seines Lehrers: „Ungarisch [zu] lernen. Aber nicht das Budapester<br />

jüdische Ungarisch, nicht die modernen, degenerierten Wortverdrehungen, die sich die Herren<br />

Skribenten an ihren Kaffeehaustischen ausdenken, sondern die echte, urwüchsige, alte Sprache des<br />

Volkes [...]“ 79 Wie eine provinzielle Karikatur des Literaturbetriebes schildert Balázs die<br />

Veröffentlichung seines ersten Gedichtes im Szegedi Napló (Szegeder Boten). In dessen Redaktion<br />

wird ihm schließlich 1900, so die von ihm erzählte Anekdote, auch der N<strong>am</strong>e Béla Balázs zugeteilt.<br />

„Herbert Bauer, ein so deutscher N<strong>am</strong>e paßt für einen ungarischen Dichter nicht.“ 80<br />

78 Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 201. Balázs beschreibt Wanderungen in der Puszta, auf der Suche: „Hier<br />

irgendwo muß es sein! Was? Dafür hatte ich keinen N<strong>am</strong>en. Ich, hinter diesem schweren, schlafenden Staub, ich,<br />

hinter allem, was vorging. Ich, wie ich wirklich war, in meiner ungarischen Heimat, zu der ich den Eingang noch<br />

nicht gefunden hatte.“ (S. 224)<br />

Zur Ungarischen Märchenüberlieferung siehe Linda Dégh, Märchen, Erzähler und Erzählgemeinschaft.<br />

dargestellt an der ungarischen Volksüberlieferung. Berlin: Akademie-Verlag, 1958. Dégh beschreibt ausgehend<br />

von den von ihr ges<strong>am</strong>melten Märchen der Szekler - einer Volksgruppe, um deren Ursprung und deren<br />

traditionelle Gentilordnung sich verschiedene Mythen ranken - auch die soziale Funktion, die Erzählgelegenheiten<br />

und -formen, in denen die Märchen tradiert wurden. Darunter besaßen auch die Flößer, neben anderen<br />

wandernden Arbeitsgemeinschaften wie Handwerker, Hirten oder Holzfäller eine besondere Bedeutung (S. 70ff.).<br />

Die Szekler und ihre Balladen spielten sowohl für Bartók und Kodály, als auch für Balázs eine zentrale Rolle.<br />

Siehe auch Gyula Ortutay (Hg.), Ungarische Volksmärchen. Berlin: Rütten & Loening, 1957. Ortutay schildert<br />

lebendig konkrete Erzählsituationen. „Das Volksmärchen aber besteht nur in seinen kleinen lebendigen<br />

Gemeinschaften. Märchenerzählen in der Eins<strong>am</strong>keit gibt es nicht. [...] Dieses Verhältnis [zwischen Erzähler und<br />

Gemeinschaft] bestimmt die Existenz des Märchens, die Art und Weise, wie es überliefert wird, die künstlerischdarstellerischen<br />

Vorgänge des Wiedererzählens, Wiederschaffens.“ (S. 50)<br />

79 Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 315.<br />

80 Ebd., S. 317.<br />

37

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!