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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Balázs’ morgendliches „Schattenspiel“ weiß noch nichts von dieser Gewalt, doch mit dem Feuer im<br />

Herd beginnt auch der K<strong>am</strong>pf der Schatten an der Wand, die Schlacht zwischen den Mächten der<br />

Finsternis und des Lichts, den Balázs so schildert, wie Gilles Deleuze den expressionistischen Film<br />

und seinen Umgang mit Dunkel und Licht. „Die beiden Mächte verbinden sich, umschlingen einander<br />

wie Ringer und geben dem Raum eine große Tiefe, eine betonte und verzerrte Perspektive“, eine<br />

„‘gespenstisch-gotische’ Welt, die die Umrisse überflutet oder bricht, den Dingen ein<br />

nichtorganisches Leben verleiht und ihnen ihre Individualität nimmt; eine Welt, die den Raum<br />

potenziert und ihn dabei zu etwas Unbegrenztem macht. Die Tiefe ist ein Ort des K<strong>am</strong>pfes“ 64 ,<br />

„Ringen des Geistes mit der Finsternis“ 65 , ein bodenloser, Deleuze nennt ihn: „beliebiger Raum“ 66 ,<br />

und die Schatten seine „Verlängerung ins Unendliche“. 67 Der Raum des Films, der Raum dieses<br />

K<strong>am</strong>pfes ist jener Ort, über den Balázs 1930 schreiben wird: „Die K<strong>am</strong>era nimmt mein Auge mit.<br />

Mitten ins Bild hinein. Ich sehe die Dinge aus dem Raum des Films. Ich bin umzingelt von den<br />

Gestalten des Films und verwickelt in seine Handlung, die ich von allen Seiten sehe.“ 68 Wolfgang<br />

Schivelbuschs Geschichte des künstlichen Lichts im 19. Jahrhundert endet mit ebendiesem Zitat<br />

Balázs’ und dem Schluss, dass die Geschichte der Moderne auch eine Vertreibung des Feuers in das<br />

Dunkel der Kinos war. „Die Welt, die sich im Dior<strong>am</strong>a und im Kino auftut, ist eine Illusions- und<br />

Traumwelt, die das Licht dem Betrachter eröffnet. Er kann sich in ihr verlieren, wie in der<br />

Betrachtung der Fl<strong>am</strong>me eines Lagerfeuers oder einer Kerze. In dieser Hinsicht ist der Film dem<br />

Feuer näher als dem Theater. [...] In der Dunkelheit ist das Licht das Leben. [...] Erlösung aus dem<br />

Dunkel, die aber auch nur durch das Dunkel möglich ist.“ 69<br />

Balázs lebt als Kind zwischen Geheimnissen, die er aufmerks<strong>am</strong> hütet, verteidigt sich gegen<br />

phantasierte Gefahren, „mittels eines ganzen Systems magischer Rituale“. 70 Er wehrt sich mit<br />

„mannigfachen, oft nicht wenig komplizierten Zauberhandlungen“ gegen einen unbekannten Feind,<br />

denn er glaubt, nicht das Kind seiner Eltern zu sein. Balázs gibt keine Erklärung für seine<br />

Wahnvorstellungen, die ihn als Kind heimgesucht haben. Sein Verfolgungswahn, seine „Angst vor<br />

64<br />

Deleuze, Das Bewegungs-Bild. Kino 1, S. 155.<br />

65<br />

Ebd., S. 156.<br />

66<br />

Ebd., S. 153ff.<br />

67<br />

Ebd., S. 156.<br />

68<br />

Béla Balázs, „Der Geist des Films“, in: Béla Balázs, Schriften zum Film. Band 2. ‘Der Geist des Films’. Artikel<br />

und Aufsätze 1926-1931. Hg. von Helmut H. Diederichs und Wolfgang Gersch. München: Hanser, 1984 [1930], S.<br />

56.<br />

69<br />

Wolfgang Schivelbusch, Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert.<br />

München: Hanser, 1983, S. 208f.<br />

35

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