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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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den „positiven Lustwert des Dunkels“ 57 , von dem Karl Abrah<strong>am</strong> spricht, aber nicht „aus vedrängter<br />

Schaulust im allgemeinen“, sondern durch „jenes lustbetonte Interesse an dunklen Höhlen, welches<br />

uns aus der infantilen Sexualität verständlich wurde“ 58 , „als Symbol der Mutter“. 59 In Balázs’ Höhle<br />

aber gibt es etwas zu sehen, noch bevor ein Licht darin aufgeht. Die Dinge haben ein<br />

„Schattengesicht“, und Marinka, ein slowakisches Bauernmädchen, das sich bei der F<strong>am</strong>ilie als<br />

Kinder- und Hausmädchen verdingt, erweckt diese Welt des Dunkels zum Leben. „Sie k<strong>am</strong> leise aus<br />

dem Dunkel und blieb doch im Dunkel heimisch: und jetzt hatte ich sie belauscht. Sie war mit den<br />

dunklen Dingen im Einverständnis“. 60 Sie macht kein Licht, entzündet nur das Feuer im Ofen, und<br />

dessen Glut erhellt nicht mehr als den „roten Umriß ihrer Stirn und ihrer Nase im Widerschein“ 61 ,<br />

also das, was der Säugling von der Mutter, die ihn nährt, sieht, was er mit der Befriedigung, die ihm<br />

die Brust gewährt, verbindet 62 , den ersten Eindruck der menschlichen Physiognomie, die aus dem<br />

Dunkel seines Neugeborenendasein auftaucht, das nur Schatten und Licht, aber noch nicht die Dinge<br />

kennt. Marinka wird für ihn zur Hüterin der ersten großen Geheimnisse. Sie ist es, die ihn in die Welt<br />

der Masken einführen wird, die Zauberin, die mit jener anderen Sphäre in geheimer Verbindung<br />

steht, „wo alle Dinge und Menschen ganz anders miteinander verbunden, ganz anders beschaffen<br />

seien“ 63 , die Hexe, deren Macht nur gewalts<strong>am</strong> gebrochen werden kann. Und die schließlich auch<br />

das Opfer einer Vergewaltigung wird.<br />

Ein junger Logiergast seiner Eltern fällt irgendwann über sie her. Der zehnjährige Balázs ist nicht nur<br />

Zeuge dieser Szene, die er noch nicht ganz versteht: Im „halbdunklen Zimmer“ trifft er die beiden,<br />

miteinander ringend, nimmt Partei in dem K<strong>am</strong>pf, für sein Geschlecht, hält den Kopf des Mädchens<br />

fest und erlebt, wie aus der scheinbar harmlosen Balgerei etwas anderes wird, das er selbst zunächst<br />

als K<strong>am</strong>pfesrausch erlebt und teilt, bis zu dem Moment, wo Marinka ihren Widerstand aufgibt. Die<br />

gewalts<strong>am</strong> erzwungene Lust zwischen dem Burschen und der jungen Frau schließt ihn aus, stößt ihn<br />

in Sch<strong>am</strong> und Hilflosigkeit zurück.<br />

57<br />

Abrah<strong>am</strong>, „Einschränkungen und Umwandlungen der Schaulust“, S. 353.<br />

58<br />

Ebd., S. 357.<br />

59<br />

Ebd., S. 354.<br />

60<br />

Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 31.<br />

61<br />

Ebd., S. 31.<br />

62<br />

Siehe René A[rpad] Spitz, Die Entstehung der ersten Objektbeziehungen. Stuttgart: Ernst Klett, 1960, S. 24ff.;<br />

sowie Selma Fraiberg, Die magischen Jahre in der Persönlichkeitsentwicklung des Vorschulkindes. Reinbek:<br />

Rowohlt, 1972, S. 36. Siehe dazu näher Kapitel 10.4.<br />

63<br />

Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 35.<br />

34

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