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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Balázs’ Buch, Karl, wo bist Du, eine Fortsetzung des erfolgreichen „Karlchen, durchhalten!“, die<br />

schon 1939 erscheinen sollte und dem Hitler-Stalin-Pakt zum Opfer gefallen war, darf nun publiziert<br />

und schnell wieder vergessen werden. 72 Lukács kommt schließlich wieder frei, doch über die Zeit im<br />

Gefängnis bewahrt er sein Leben lang Stillschweigen. Er hatte, wie Balázs schon so treffend in<br />

seinem Tagebuch beschrieb, seinen eigenen Weg eingeschlagen, mit seiner Vergangenheit<br />

umzugehen, seine Niederlagen als strategisch notwendige Bewegungen eines Partisanenkrieges zu<br />

interpretieren, dessen Ziel auch durch die Realität nicht zu erschüttern war. Im Oktober 1941<br />

wurden Balázs und seine Frau, wie auch Lukács und viele andere Intellektuelle aus Moskau<br />

evakuiert und fanden sich in Kazan, der Hauptstadt der Tatrischen Republik wieder. Drei Wochen<br />

später erfuhren sie, dass die sowjetische Filmproduktion nach Alma Ata verlegt worden war. Noch<br />

einmal machten Balázs und seine Frau sich auf den Weg: in die kasakhische Hauptstadt, in Sichtweite<br />

der chinesischen Berge.<br />

Auch in Zentralasien ermüdet Balázs’ Phantasie nicht. Er schreibt Filmszenarios und Theaterstücke 73 ,<br />

und er erarbeitet eine Anthologie kasakhischer Volksepen, die er ins Deutsche überträgt. 74 1943, die<br />

sowjetische Gegenoffensive hat begonnen, kehrt Balázs, zunächst ohne Anna, nach Moskau zurück.<br />

Erst ein Jahr später kann sie ihm folgen, nach Monaten der Angst, die sie in Alma Ata, schwer<br />

erkrankt, zum großen Teil im Hospital verbringt.<br />

72 Balázs hatte 1938 für das Komitee für Kinematographie auch ein gleichn<strong>am</strong>iges Filmszenario verfasst, das 1939<br />

von Sojusdetfilm realisiert werden sollte. Doch nachdem man sich zunächst offenbar nicht einig war, wer Balázs<br />

für die Arbeit an dem schon akzeptierten Szenario eigentlich bezahlen sollte, wollte nach der „plötzlichen<br />

Wendung der Weltpolitik“ (so Balázs in einem Brief an den Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes Aleksandr<br />

Fadejew, ohne Datum [1940], in: Balázs -Nachlass, MTA, Ms 5018/129) im August 1939 niemand mehr etwas von<br />

einer Verpflichtung gegenüber Balázs wissen. Balázs rief das „Volksgericht“ an, und er musste sich im<br />

Gerichtssaal erklären lassen, man hätte den Vertrag mit ihm nur abgeschlossen, um ihn als mittellosen politischen<br />

Emigranten zu unterstützen. Nach dieser Demütigung erklärte Balázs gegenüber dem Schriftstellerverband, seine<br />

Tätigkeit als Filmautor zu beenden.<br />

73 Z.B. das später in Budapest unter dem Titel „Hexentanz“ aufgeführte Stück „Das stille Städtchen“. Im von den<br />

italienischen Faschisten besetzten Yugoslawien belauern und bekämpfen sich serbische Partisanen und<br />

kroatische Ustascha, italienische Besatzer und deutsche Nationalsozialisten, die sich darauf vorbereiten, selbst<br />

die Herrschaft zu übernehmen. Am Ende haben nicht nur die Partisanen Erfolg; gegen den zynischen Deutschen<br />

Wernigerode, der unter dem Vorwand, volkskundliche Forschungen zu betreiben, ins Städtchen gekommen ist,<br />

siegt <strong>am</strong> Ende die Kunst des Volkes, personifiziert in den Gestalten der Lehrerin Militia und ihrer Großmutter, die<br />

noch die alten Lieder zu singen versteht. Für Wernigerode, den intellektuellen Nazi, ist die Volkskunst nichts als<br />

Rohstoff. „Nur durch die deutsche Wissenschaft systematisch verarbeitet kann dieser Rohstoff nutzbar gemacht<br />

werden für die Kultur.“ (Béla Balázs, „Das stille Städtchen“, Typoskript, in: Balázs -Nachlass, MTA, Ms 5013/6)<br />

74 Die S<strong>am</strong>mlung ist 1949 zunächst auf Ungarisch erschienen: A fakó lovacska [Das falbe Füllen]. Budapest: Révai<br />

Könyvkiadó, 1949. Eine deutsche Ausgabe von Balázs’ Nachdichtungen erschien (ohne Balázs’ Vorwort) in der<br />

DDR unter dem Titel Das goldene Zelt. Kasachische Volksepen und Märchen. Nachdichtung der Verse von Béla<br />

Balázs. Nacherzählt und herausgegeben von Erich Müller. Berlin: Verlag Kultur und Fortschritt, 1956.<br />

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