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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Parsifal aus Istra reitet aber zuweilen aus seinem Urwald nach Moskau, spricht dort mit<br />

Schriftstellern und Agenten, die über solche Fragen ausserordentlich gut informiert sind.“ 52 Balázs<br />

beteuert, von der Front gegen Lukács nichts gewusst zu haben, nur den Angriff Ewgenija<br />

Knipowitschs auf Lukács Essay-S<strong>am</strong>mlung zur Geschichte des Realismus gelesen zu haben. Auch<br />

dort wurde Lukács Versuch, gerade die Widersprüche des Realismus an eine Teleologie<br />

gesellschaftlichen Fortschritts anzubinden, verächtlich gegen ihn gewendet. Stendhal, so hätte er<br />

behauptet, wäre durch seine fortschrittliche Weltanschauung daran gehindert worden, ein wahrer<br />

Realist zu sein. 53<br />

Pauschal verwirft Lukács Balázs’ Schriften nach 1919, bis hin zu seinen Kinderbüchern, die für<br />

seinen „literarischen Magen“ 54 zu viel gewesen wären, die statt bürgerlichem lediglich kommunistisch<br />

verbrämten Kitsch verbreitet hätten. Lukács „rechtfertigt“ noch einmal sein früheres Engagement für<br />

Balázs, ihren gemeins<strong>am</strong>en K<strong>am</strong>pf gegen Impressionismus, Naturalismus und Expressionismus - und<br />

er resümiert seine Interpretation ihrer Entfremdung, ihre Differenz in den entscheidenden Fragen der<br />

Ethik: „Dieser Gegensatz k<strong>am</strong> aber auch im Leben zum Ausdruck. Ich erinnere Dich an den<br />

tragischen Selbstmord Irmas und Deiner Rolle in dieser Angelegenheit.“ 55 Statt wie er, Lukács, aus<br />

dem tiefen Hass gegen den „moralischen Schmutz der Bourgeoisie“ die Konsequenzen zu ziehen,<br />

habe Balázs, so wirft er ihm vor, „die ganze ‘Erhabenheit’ und ‘Tiefe’ der Romantik, Dostojewskis<br />

etc. mobilisiert, um Deine rein bourgeoise Sexualethik vor Dir selbst zu rechtfertigen“. 56<br />

Balázs’ Wahrnehmung dieser letzten „Aussprache“ zwischen ihnen sah selbstverständlich anders aus:<br />

„Bei dieser ‘Verrechnung’“, so notiert er ins Tagebuch, “ - aber schon bei jener denkwürdigen<br />

Redaktionssitzung stieg wie eine grelle Vision vor mir auf der tiefdr<strong>am</strong>atische Konflikt unserer beider<br />

Gestalten in ihrer Gegensätzlichkeit und schicksalhaften Verbundenheit zugleich - meine sinnlich-<br />

organische in Phantasie und Gefühl lebende Natur, meine künstlerische Konkretheit, meine<br />

‘kindliche’ Leidenschaftlichkeit und Naivität und mein - anscheinend beflügelteres Talent - mein mit<br />

viel Leichtsinn und Toleranz gepaartes ethisches Pathos - und sein bis zur wesenlosen Attraktion<br />

erkaltetes Doktrinärtum, seine kalte Leidenschaft und Ambition aus Ressentiment, sein undialektisch<br />

fanatisches entweder - oder, mit widerspruchsvollen kantigen Wendungen, bei denen er sich selbst<br />

mitleidlos zum Opfer wird - alles hassend was ihn an seine Vergangenheit erinnert - seine im Grunde<br />

52 Georg Lukács an Balázs, 31.1.1940, in: Balázs Béla levelei Lukács Györgyhöz, S. 174f.<br />

53 Vgl. dazu Pike, Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil, S. 402f.<br />

54 Ebd., S. 186.<br />

55 Ebd., S. 181.<br />

56 Ebd., S. 182.<br />

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