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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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„Funk sagte“, so notiert Balázs <strong>am</strong> 19. Januar, “man würde sich draußen fragen, was steckt hinter<br />

diesem Angriff auf die soziologische Literaturtheorie? Was soll liquidiert werden? - Es wurde ja in<br />

letzter Zeit bereits Manches liquidiert, seitdem wir mit Hitler ein Bündnis geschlossen haben. Soll<br />

vielleicht jetzt eine unsoziologische, unpolitische, ‘reine Ästhetik’ - kommen?“ 47<br />

Balázs, den „Arglosen“, hörte man kaum an. Seinen Standpunkt hatte er vorher noch einmal in einem<br />

Brief an Johannes R. Becher deutlich gemacht, hatte die Kunst und die Welt der Formen gegen eine<br />

doktrinäre materialistische „literatursoziologische“ Interpretation verteidigt, die nur das Abbild des<br />

gesellschaftlichen Ganzen als „Realismus“, als „Kunst“ überhaupt durchgehen ließ - und alles andere<br />

als bloße „Atelierfragen“ geringschätzte. 48 Balázs verteidigte noch immer den Realismus, der auch<br />

dem Phantastischen, den „Phantasmagorien“ innewohnt. Im Tagebuch heißt es wenige Tage später:<br />

„Der Realismus der Lyrik ist auch so ein Wecken bekannter, existenter wirklicher Gefühle, Träume,<br />

Visionen, musikalischer Stimmungen.“ 49<br />

Lukács hatte sich auf die Sitzung vorbereitet, zitierte zu seiner Verteidigung aus mitgebrachten<br />

Büchern, behauptete mit Hebbel, die Wirklichkeit selbst „enthalte bereits die Kunstformen“ 50 , sprach<br />

sichtlich nervös und mit sich überschlagender Stimme. Ganz offensichtlich ging es um mehr als bloß<br />

um einen theoretischen Streit.<br />

Am Ende verlässt Balázs allein, gekränkt und gedemütigt durch die Front der Ablehnung, die er nicht<br />

versteht, den Schauplatz der „Redaktionssitzung“. Drei Briefe wechseln noch zwischen ihm und<br />

Lukács hin und her. 51 Eine hässliche Aufrechnung ihres Lebens, von der Katastrophe Irma Seidlers<br />

bis zum Wesen ihres Charakters. Lukács wirft ihm offen vor, die russischen Angriffe gegen ihn zu<br />

unterstützen. „Du trittst hier als der ‘reine Tor’, als der nichtwissende Parsifal aus Istra auf. [...] Der<br />

46<br />

Siehe dazu Pike, Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil, S. 401-410.<br />

47<br />

Balázs, „naplói. Isztra-Moskva“. Eintrag vom 19.1.1940.<br />

48<br />

Balázs an Johannes R. Becher, ohne Datum [Januar 1940], in: Balázs Béla levelei Lukács Györgyhöz, S. 222-23<br />

[Original in: Balázs -Nachlass, MTA, Ms 5018/176].<br />

49<br />

Balázs, „naplói. Isztra-Moskva“. Eintrag vom 1.2.1940. In handschriftlichen Notizen zu einem Brief an Lukács,<br />

der vermutlich noch vor Januar 1940 entworfen, aber nicht abgeschickt worden ist, sucht Balázs die<br />

Auseinandersetzng über die „Gefahr der Barbarei des ‘Soziologismus’“ (Manuskript, in: Balázs -Nachlass, MTA,<br />

Ms 5018/177) und fordert einen Realismus, der auch die Widersprüche in den menschlichen Schicksalen und nicht<br />

nur in der Gesellschaft zur Darstellung bringt. „Es gibt auch einen psychologischen Realismus.- Proust.“<br />

50<br />

Ebd. Eintrag vom 19.1.1940.<br />

51<br />

Am 22. Januar notiert er ins Tagebuch, „Ich habe Lukatsch [sic] doch geantwortet [...]. Abgeschickt habe ich<br />

ihn heute noch nicht [...]. Als Anna den Brief gelesen hatte weinte sie. ‘Er ist so kindlich’ - sagte sie - ‘aber<br />

schicke ihn fort. So bist Du. Es wird gar keinen Eindruck machen auf ihn [...] Hier der Brief.“ Einige Tage später<br />

notiert Balázs direkt darunter: „Er hat geantwortet! Und wie. Wenn ich wünschte dieses Tagebuch sollte<br />

folgenden Generationen über uns berichten, so nicht zuletzt darum, über diesen Konflikt zu richten und zu<br />

erfahren wer Lukatsch gewesen ist - wenn sein N<strong>am</strong>e überhaupt noch bekannt sein würde.“ (Balázs, „naplói.<br />

Isztra-Moskva“)<br />

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