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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Mutter, Jenny Levy, ist Lehrerin und st<strong>am</strong>mt aus dem ostpreußischen Elbing. 32 So spricht man in der<br />

F<strong>am</strong>ilie weitgehend deutsch. 1885 wird Balázs’ Schwester Hilda geboren, 1890 sein Bruder Ervin.<br />

Im selben Jahr wird Simon Bauer nach Norden in die Karpathen, in ein fernes Provinzstädtchen an<br />

der Grenze, strafversetzt. Dr. Bauer hat sich gegenüber seinem Prüfungsvorsitzenden für einen<br />

Schüler verwendet, den dieser durchfallen lassen wollte. Bauer widersetzt sich, er weigert sich das<br />

Zeugnis zu unterschreiben und zieht d<strong>am</strong>it den Zorn seiner Vorgesetzten auf sich. Die F<strong>am</strong>ilie Bauer<br />

muss schließlich auf eigene Kosten nach Löcse (dt. Leutschau, heute slowakisch Levoca)<br />

übersiedeln, wo Balázs’ Vater 1897 stirbt und auf dem jüdischen Friedhof, auf einem Hügel<br />

außerhalb der Stadt, begraben wird. Wenig später kehrt die F<strong>am</strong>ilie nach Szeged zurück. Balázs’<br />

Mutter beginnt wieder als Lehrerin zu arbeiten. Und in seinen Schilderungen bleibt Jenny Levy eine<br />

ferne, idealisierte, eine fremde Gestalt, streng und unnahbar.<br />

Das meiste, was wir über Balázs’ Kindheit wissen, erfahren wir durch ihn selbst. Seine<br />

Jugendautobiographie Die Jugend eines Träumers, die Balázs 1940 in Moskau beginnt und die<br />

1946 zuerst in Budapest erscheint, eröffnet ein Panor<strong>am</strong>a des Ungarns der Jahrhundertwende aus<br />

der Perspektive der Provinz, der Ebene im Süden, des „ungeheuren Raum[es]“ 33 der Steppe, und<br />

des „verzauberten Ort[s]“ 34 in den Bergen und Wäldern im Norden, der Stadt Szeged <strong>am</strong> trägen<br />

Fluss Tisza und dem Städtchen Löcse in den Vorgebirgen der Tatra, der ungarischen und jüdisch-<br />

assimilierten, serbischen und schwäbischen Bevölkerung im Süden und des Zus<strong>am</strong>menlebens von<br />

slowakischen Bauern und „Zipser Deutschen“, Ungarn und traditionell lebenden Juden in den<br />

Karpathen.<br />

Balázs schildert in diesem Buch seine Kindheit als verzauberte Märchenwelt und doch voller<br />

Realismus: „das metaphorische Alter des Kindes“. 35 Realität und Phantastik gehen darin eine enge<br />

Verbindung ein, „als hätten Traum und Wirklichkeit aufeinander abgefärbt, weil sie zu nahe<br />

beis<strong>am</strong>men gelegen waren. Innere und äußere Bilder scheinen aus derselben Substanz zu sein. Gewiß<br />

konnte ich Märchenphantasien und selbst Gesehenes auseinanderhalten, aber einen<br />

32 Über eine Reise an die Ostsee mit seiner Mutter schreibt Balázs später: „Das Meer war mein erstes<br />

Landschaftserlebnis.“ Erst dort habe er gespürt, „daß meine Umgebung eine Physiognomie hatte: daß sie<br />

Landschaft war. Landschaften sind mir später zu tiefsten Erlebnissen geworden, doch immer nur, wenn sie mir als<br />

notwendige Heimat gewisser Menschen deutlich wurden.“ (Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 17)<br />

33 Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 263.<br />

34 Ebd., S. 41.<br />

35 Ebd., S. 27.<br />

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