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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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13.2 Sachlichkeit und Fanatismus<br />

Der leere Raum, in den die Menschen sich verirren, jene Sphäre „über 4000 m“, in der, wie Balázs<br />

1931 schreibt, „sich nämlich Begebenheiten des normalen menschlichen Alltags nicht zu ereignen“ 32<br />

pflegen, ist eine Welt der lustvoll drohenden Auflösung des Subjekts in den Raum, und deren<br />

Verhinderung mit allen Mitteln. „Es gibt nichts Phantastischeres, als die Natur, in der wir nicht zu<br />

Hause sind. Was wir dort sehen, das ist wirkliche unverfälschte Natur. Daß wir es sehen, ist ganz<br />

und gar unnatürlich, denn es ist nicht fürs Menschenauge bestimmt.“ 33 Martin Seel hat dagegen<br />

zurecht eingewandt, dass es „für das moderne ästhetische Bewußtsein nichts Alltäglicheres gibt“ 34 ,<br />

als den Aufenthalt in solchen Räumen, die den Menschen fremd sind. Vor allem aber übersieht<br />

Balázs, dass nicht nur das Sehen dieser Natur die Grenze der Natur überschreitet, sondern erst recht<br />

das, was die Betrachter von Fancks Filmen auf der Leinwand sehen: nicht nur die entzauberte Natur,<br />

sondern auch das Medium ihrer Entzauberung, nicht nur „Wetterwart, Flieger, Astronom“ 35 , sondern:<br />

Wetterwarte, Flugzeug, Teleskop. Und interessant wird dann nicht mehr nur die Frage des Erlebens<br />

der (eigenen) Natur, sondern des Erlebens der Technik, der Identifikation mit dem Gerät.<br />

Es sei noch einmal an Georg Simmels Versuch erinnert, über Henri Bergson hinauszugehen, sein<br />

Versuch, das Verhältnis von Leben und Mechanismus als das Wesen des Tragischen zu bestimmen:<br />

„Es ist, als ob er die Tragik davon gar nicht bemerkte, daß das Leben, um nur existieren zu können,<br />

sich in Nichtleben verwandeln muß [...], daß dies gerade seiner eigenen Aufhebung, der Erstarrung<br />

zu seinem eigenen Gegenteil bedarf, nicht um einer tragischen Dialektik, nicht um eines<br />

metaphysischen Dualismus willen, sondern einfach, um seine Wirklichkeit äußerlich durchzusetzen -<br />

das ist viel dämonischer [...].“ 36<br />

Ende der zwanziger Jahre hat Georg Simmels dämonischer Tragismus radikaleren Formulierungen<br />

dieser Philosophie des Lebens Platz gemacht. Oswald Spengler, dessen megalomaner Versuch einer<br />

„Morphologie der Weltgeschichte“, der Untergang des Abendlands, zu einem Kultbuch der<br />

Nachkriegsgeneration geworden war, hatte ihn zum radikalen Fatalismus gesteigert: „Das Geld wird<br />

32<br />

Béla Balázs, „Der Fall Dr. Fanck“ [Vorwort zu Arnold Fancks Filmbuch Stürme über dem Montblanc 1931], in:<br />

ders., Schriften zum Film. Band 2, S. 289.<br />

33<br />

Ebd.<br />

34<br />

Seel, „Arnold Fanck“, S. 72.<br />

35<br />

Balázs, „Der Fall Dr. Fanck“, S. 289.<br />

36<br />

Simmel, „Henri Bergson“, in: ders., Zur Philosophie der Kunst, S. 138f.<br />

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