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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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einen tragenden Raum, jener „freundlichen Weite“, in der wir frei zu schweben vermeinen, solange<br />

uns nur die Objekte nicht zu nahe treten, verschmilzt Zuschauer- und Bildraum. 165<br />

Balázs berührt das Phänomen dieser Verschmelzungsphantasie auf zwei Ebenen: als visuell-<br />

körperliche Erfahrung der Entgrenzung - in der Illusion der Bewegung durch den Bildraum als<br />

Selbstschöpfung des Wunsches - und als kulturelle Verschmelzung von Kunstproduktion und<br />

Kunstrezeption, in der „Zerstörung der feierlichen Ferne jener kultischen Repräsentation, die das<br />

Theater umgeben hat“. 166 Indem das Kino die „fixierte Distanz des Zuschauers aufgehoben [hat];<br />

jene Distanz, die bisher zum Wesen der sichtbaren Künste gehört hat“ 167 , nimmt es das Auge „mitten<br />

ins Bild hinein“. 168 Indem der Film den Blick des Zuschauers mit den Augen der Figuren identifiziert,<br />

sie alle mit meinen Augen sehen lässt, macht der Film den Zuschauer nicht zum souveränen Subjekt<br />

sondern zum phantasierten Gott, zum „Illusionsprogr<strong>am</strong>m. Der Mensch als Subjekt der Welt: noch<br />

ist er nichts weiter und wird vielleicht nie etwas anderes sein als eine Vorstellung, ein Schauspiel:<br />

Kino.“ 169<br />

Der imaginäre Schöpfer der Welt aber steht an einem Abgrund, er blickt in eine Welt, in der es keine<br />

Subjekte mehr gibt, nur noch jenes „dunkle Heimweh“ 170 nach dem „Nichtsein“ 171 , jene „Ahnung,<br />

daß der Mensch nicht nur ein soziales, sondern auch ein kosmisches Wesen ist“. 172 Es ist die<br />

Sehnsucht nach der Selbstvernichtung des Subjekts, nach dem Erleben des Todes, nach der<br />

Aufzeichnung des Todes - so wie der Held in Shackletons Film der Südpolexpedition die Grenzen<br />

„seiner ihm als Heimat bestimmten Natur überschritten hat und Aug’ in Aug’ dem finstern Weltall<br />

gegenübersteht, jenseits der Lebensgrenze, an dem einzigen Punkt, wo es keinen Klassenk<strong>am</strong>pf<br />

mehr, sondern nur noch einen Naturk<strong>am</strong>pf gibt“. 173 1925 schon hatte Balázs aus seiner Begeisterung<br />

für Shackletons Film keinen Hehl gemacht, wie aus dem „posthume[n] Film des Südpolarforschers<br />

Kapitän Scott, der sein eigenes Sterben kurbelte, gleichs<strong>am</strong> als hätte er noch seinen Todesschrei in<br />

einen Phonographen hineingeschrieen. [...] Das Besondere und Neue in diesem Falle ist, daß diese<br />

165 Liegt es daran (dass jene Verschmelzung keinen Unterschied zwischen Nähe und Ferne gelten lassen kann),<br />

dass die Technik des 3 D-Filmes zwar die Wirklichkeitsillusion verstärkt, aber die filmische Partizipation, die<br />

Selbstidentifikation mit der K<strong>am</strong>era als transzendentalem Subjekt, als Realisator des Wunsches hintertreibt?<br />

166 Balázs, „Der Geist des Films“, S. 203.<br />

167<br />

Ebd., S. 56.<br />

168<br />

Ebd.<br />

169<br />

Morin, Der Mensch und das Kino, S. 235.<br />

170<br />

Balázs, „Der Geist des Films“, S. 115.<br />

171<br />

Balázs, „Echtes, Allzuechtes“, S. 356.<br />

172<br />

Balázs, „Der Geist des Films“, S. 115.<br />

173 Ebd., S. 116.<br />

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