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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Bedingung der „Kultwerte“, ihre „Fundierung im Ritual“ 109 zerstöre, zielt Balázs auf die Auratisierung<br />

der ungeschlachten Realität selbst. Während sich für Benj<strong>am</strong>in das Publikum in der Identifikation mit<br />

der K<strong>am</strong>era in einen Ex<strong>am</strong>inator (aber: einen zerstreuten) verwandelt, „anthropologisiert Balázs den<br />

K<strong>am</strong>erablick und steigert ihn zum omnipotenten Blick des Zuschauers“. 110<br />

Und so gipfelt seine Definition der Identifizierung in einem mehrdeutigen Bild, das mehr verrät, als<br />

Balázs eigentlich sagen will: „Denn die K<strong>am</strong>era hat meine Augen und identifiziert sie mit den Augen<br />

der handelnden Personen. Sie schauen mit meinem Blick.“ 111 Nicht „Ich“ schaue mit ihrem Blick, sie<br />

schauen mit meinem Blick. Und das heißt, alle handelnden Personen werden zu Inkarnationen<br />

meines Blicks, meines Wunsches, meines Imaginären.<br />

D<strong>am</strong>it aber ist etwas anderes geschehen, als das, was Balázs selbst als das entscheidend Neue, als<br />

die Aufhebung der „fixierten Distanz des Zuschauers“ 112 bezeichnet. Das Kunstwerk sei keine<br />

geschlossene Welt mehr, kein vom Betrachter hermetisch durch Rahmen oder Bühne geschlossener<br />

Raum. In seinem letzten Filmbuch Filmkultúra wird Balázs diese Vorstellung mit eben jener<br />

chinesischen Legende illustrieren, die auch Benj<strong>am</strong>in in seinem „Kunstwerk“-Aufsatz erwähnt, freilich<br />

ohne sie mit dem Film in Verbindung zu bringen: 113 die Legende vom Maler, den die Sehnsucht in<br />

das eigene Bild zieht und der darin schließlich verschwindet. 114 Doch ist mit diesem Verschwinden in<br />

der eigenen Vorstellung die Distanz tatsächlich aufgehoben? Balázs selbst beschreibt die totale<br />

Verfügung über den Raum zugleich als ein „mitten drin“ 115 , ein „umzingelt“-sein, wie auch als ein<br />

Sehen „von allen Seiten“. Wir sind inmitten des Bildes, weil wir zu allen seinen Elementen potentiell<br />

den gleichen Abstand haben, wir verfügen über ein totales Bewusstsein, weil sich zwischen uns und<br />

den Dingen die K<strong>am</strong>era bewegt, mit den Worten Deleuzes: „[D]as einzige kinematographische<br />

Bewußtsein, das sind nicht etwa wir, die Zuschauer, noch der Held, das ist die K<strong>am</strong>era, die bald<br />

menschliche, bald unmenschliche oder übermenschliche K<strong>am</strong>era.“ 116<br />

108<br />

Benj<strong>am</strong>in, „Das Kunstwerk“, S. 488.<br />

109<br />

Ebd., S. 480.<br />

110<br />

Paech, „Dispositionen der Einfühlung“, S. 117.<br />

111<br />

Balázs, „Der Geist des Films“, S. 57.<br />

112<br />

Ebd., S. 56.<br />

113<br />

Siehe Benj<strong>am</strong>in, „Das Kunstwerk“, S. 504.<br />

114<br />

Siehe Béla Balázs, Der Film. Werden und Wesen einer neuen Kunst. Wien: Globus, 1949, S. 46f.<br />

[Originalausgabe: Filmkultúra: A film müvészetfilozófiája, 1948]. Auch Siegfried Kracauer wird sich in der<br />

Theorie des Films dieser Legende bedienen.<br />

115<br />

Balázs, „Der Geist des Films“, S. 56.<br />

116 Deleuze, Das Bewegungs-Bild, S. 38.<br />

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