12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Großaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung. [...] So wird handgreiflich,<br />

daß es eine andere Natur ist, die zu der K<strong>am</strong>era als die zum Auge spricht. Anders vor allem<br />

dadurch, daß an die Stelle eines vom Menschen mit Bewußtsein durchwirkten Raums ein unbewußt<br />

durchwirkter wird.“ 100 Balázs’ „Geheimnis“ hat bei Benj<strong>am</strong>in freilich eine andere Färbung, es ist die<br />

Dimension des „Choks“. 101<br />

Montage, die rhytmische und assoziative Folge der Bilder, ist aus dieser Perspektive heraus eine<br />

Funktion der „produktiven K<strong>am</strong>era“ 102 und nicht umgekehrt. Montage ist für Balázs eine Form der<br />

Bewegung der K<strong>am</strong>era, so wie die panor<strong>am</strong>ierende K<strong>am</strong>era für ihn „Montage ohne Schnitt“ 103 ist.<br />

Worauf er zielt, ohne es explizit auszusprechen, ist die Identifikation mit der K<strong>am</strong>era als Medium<br />

einer allgegenwärtigen, einer alles verwandelnden Präsenz. „Die K<strong>am</strong>era nimmt mein Auge mit.<br />

Mitten ins Bild hinein. Ich sehe die Dinge aus dem Raum des Films. Ich bin umzingelt von den<br />

Gestalten des Films und verwickelt in seine Handlung, die ich von allen Seiten sehe.“ 104 Balázs aber<br />

identifiziert dieses „von allen Seiten“ blickende „Ich“ nicht mit sich selbst und seiner imaginierten<br />

Allmacht, sondern mit den Figuren. „Mein Blick und mit ihm mein Bewußtsein identifiziert sich mit<br />

den Personen des Films.“ 105 Freilich: allen zugleich. Er selbst, das sehende „Ich“ habe keinen eigenen<br />

Standpunkt 106 , ginge mit der Menge mit, und verliere festen Boden unter den Füßen: „[I]ch fliege, ich<br />

tauche, ich reite [...].“ 107<br />

Während Balázs’ Zuschauer sich an die K<strong>am</strong>era als Medium verliert, sich selbstvergessen einem<br />

Rausch hingibt, sieht Benj<strong>am</strong>in eine andere Form der Identifizierung von K<strong>am</strong>erablick und<br />

Zuschauerblick, den der Einfühlung in den Apparat: „Das Publikum fühlt sich in den Darsteller nur<br />

ein, indem es sich in den Apparat einfühlt. Es übernimmt also dessen Haltung: es testet.“ 108 Während<br />

Benj<strong>am</strong>ins These zufolge das Medium d<strong>am</strong>it die Aura des künstlerisch gefertigten, und das heißt die<br />

100 Walter Benj<strong>am</strong>in, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit “, in:<br />

ders., Ges<strong>am</strong>melte Schriften. I.2 [werkausgabe Band 2]. S. 500. Gertrud Koch hat auf die Bezüge Benj<strong>am</strong>ins zu<br />

Balázs nachdrücklich hingewiesen (vgl. Koch, „Die Physiognomie der Dinge“, S. 77f.).<br />

101 „Der Film ist die der gesteigerten Lebensgefahr, der die Heutigen ins Auge zu sehen haben, entsprechende<br />

Kunstform. Das Bedürfnis, sich Chokwirkungen auszusetzen, ist eine Anpassung der Menschen an die sie<br />

bedrohenden Gefahren.“ (Benj<strong>am</strong>in, „Das Kunstwerk“, S. 503, Anm. 29.) Benj<strong>am</strong>ins Begriff des Choks verrät mehr,<br />

als er selbst zugibt: Die Anpassung an die Gefahren erfolgt über die Preisgabe des Selbst an das Schwindelgefühl,<br />

das der Chok auszulösen vermag.<br />

102 Ebd., S. 55.<br />

103 Ebd., S. 99.<br />

104 Ebd., S. 56.<br />

105 Ebd.<br />

106 Auch bei Benj<strong>am</strong>in heißt es über die Filmaufnahme: „Sie stellt einen Vorgang dar, dem kein einziger Standpunkt<br />

mehr zuzuordnen ist.“ (Benj<strong>am</strong>in, „Das Kunstwerk“, S. 495.)<br />

107 Balázs, „Der Geist des Films“, S. 57.<br />

397

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!