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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Uneindeutigkeit, kein Kontinuum, sondern physiognomischer, körperlich bewegter Raum,<br />

Geborgenheit und Grenzenlosigkeit zugleich.<br />

„Diese Vorstellung ist darum absonderlich, weil meine Kindheit im Grunde ruhig, geborgen und<br />

kleinbürgerlich war [...]. In jener luftigen Stube selbst lebte man ja friedlich, bloß Fenster und Türen<br />

waren immer offen, Perspektiven und Möglichkeiten ließen wie Winde die Vorhänge flattern. [...]<br />

Das jahrelang nichts Besonderes geschah, stumpfte keine Minute lang das Gefühl ab, daß jeden Tag<br />

etwas ganz Besonderes geschehen könnte.“ 94<br />

In diesem Raum sind wir zugleich hier und dort, „irgendwo und zugleich anderswo“. 95 Diesen Raum<br />

kann man nicht messen, er beginnt überall und hat keine Grenze, er verdoppelt sich, verdreifacht<br />

sich, ist überall mit sich selbst verbunden. Es ist der Raum des Traumes und des magischen<br />

Denkens. Am Beispiel einer Traumsequenz aus dem Film NARKOSE, zu dem er selbst das Drehbuch<br />

schrieb, erläutert Balázs ein räumliche Qualität, in der er etwas spezifisch Filmisches ausmacht: die<br />

Verschmelzung des empirischen, begrenzten Raumes mit dem imaginierten All-Raum. „Im Traum<br />

verwandelt sich der Raum nicht in einen anderen, sondern er hat überhaupt keinen eindeutigen<br />

Charakter. Er ist gar nicht ein Raum. Gerade durch die reale Kontinuität des Panor<strong>am</strong>ierens,<br />

dadurch daß wir ihn durchschreiten, stellen wir seine Irrealität fest.“ 96<br />

Die panor<strong>am</strong>ierende K<strong>am</strong>era, die den Raum durchmisst, ist selbst eine Ausdrucksbewegung. „Vor<br />

der mitfahrenden K<strong>am</strong>era wird der Gang eines Menschen zu einer seiner bedeutendsten<br />

Gebärden.“ 97 Ja, wir brauchen diese Gebärde nichts selbst zu sehen, sie wird zu unserer eigenen:<br />

„Die bewegliche K<strong>am</strong>era, der panor<strong>am</strong>ierende und fahrende Apparat ließ uns zuerst den Raum<br />

wirklich erleben. Den Raum, der nicht zur Perspektive geworden ist, nicht zum Bild, das wir von<br />

außen betrachten, sondern der Raum bleibt, in dem wir uns mit der K<strong>am</strong>era selber bewegen, dessen<br />

Entfernungen wir abschreiten und d<strong>am</strong>it auch die Zeit erleben, die dazu notwendig ist.“ 98 Indem wir<br />

den Raum durchmessen, verlieren wir zugleich das Gefühl für das Maß, verwandelt sich der Raum<br />

von einem Quantum in eine Qualität, in ein Medium unerwarteter Begegnung. „Jeder Schritt weiter im<br />

Raum ist neues Geheimnis, neue Möglichkeit und Erwartung. Schrittweise wird der Raum erlebt.“ 99<br />

Walter Benj<strong>am</strong>in wird, ohne Balázs je zu zitieren, in seinem Aufsatz über „Das Kunstwerk im<br />

Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ genau darauf zurückkommen: „Unter der<br />

94 Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 17f.<br />

95 Balázs, „Der Geist des Films“, S. 103.<br />

96 Ebd.<br />

97 Ebd., S. 102.<br />

98 Ebd., S. 99.<br />

99 Ebd., S. 100.<br />

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