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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Die Veröffentlichung von Balázs’ Vortrag veranlasst Sergej Eisenstein zu einer rüden Polemik: „Béla<br />

vergisst die Schere“. 32 Eisenstein nutzt die Schwächen in Balázs’ Argumentation, um seine eigenen<br />

theoretischen Auffassungen zu pointieren und schießt, was Balázs anbetrifft, weit übers Ziel hinaus.<br />

Balázs habe keine Ahnung vom Kollektivismus des Films und seiner Herstellung, vom „Begriff des<br />

K<strong>am</strong>er<strong>am</strong>anns [...] als eines freien Mitgliedes einer Vereinigung gleichberechtigter schöpferischer<br />

Individualitäten“. 33 Nachdem er Balázs ausführlich des Starkultes, des „Starismus“ 34 geziehen hat und<br />

ihm das „Heldentum“ der unbekannten Mitglieder des Kollektivs entgegengehalten, den Film als<br />

Resultat „kollektiver Willensbestrebungen“ 35 charakterisiert hat, kommt Eisenstein zu seinem<br />

zentralen Postulat: „Das Wesen des Films darf nicht in den Einstellungen gesucht werden, sondern<br />

vielmehr in den Wechselbeziehungen der Einstellungen [...] Der Ausdruckseffekt des Filmes ist das<br />

Ergebnis von Zus<strong>am</strong>menstellungen.“ 36 Nicht um Bilder ginge es, sondern um „Sequenzteile“. 37<br />

D<strong>am</strong>it war freilich ein eher irreführender Gegensatz zu Balázs konstruiert. Lange bevor Eisenstein<br />

seine Theorie der Montage (der emotionalen, der intellektuellen, der dialektischen Montage) in<br />

immer wieder neuen Versuchen entwickelte - und „Béla vergißt die Schere“ zählte zu den allerersten<br />

dieser theoretischen Versuche - hatte Balázs im „sichtbaren Menschen“ den Schnitt, die<br />

„Bilderführung“ als Hauptproblem der visuellen Kontinuität und der symbolischen Assoziation<br />

herausgehoben und vom Regisseur gefordert: „Er muß es verstehen, die Stimmung eines Bildes<br />

hinüberleuchten zu lassen in das nächste Bild. [...] Das Zwischenbild darf also von der aktuellen<br />

Handlung abweichen, muß aber eine Stimmungskontinuität zu ihr haben.“ 38 An vielen Beispielen<br />

macht er deutlich, wie die Anneinanderreihung von Bildern verschiedene Rhytmen und emotionale<br />

Partizipationen, Bewegungsrichtungen, Raum- und Zeitempfindungen oder inhaltliche Assoziationen<br />

hervorrufen kann. „Kleine Motive, Dinge, Gebärden und manchmal nur eine Beleuchtung werden in<br />

32 Sergej M. Eisenstein, „Béla vergißt die Schere“, in: ders., Schriften 2. Panzerkreuzer Potemkin. Hg. von Hans-<br />

Joachim Schlegel. München: Hanser, 1973, S. 134-141. Eisensteins Reaktion erschien zunächst in zwei Teilen: „O<br />

pozicii Bela Balasa“ [Über die Position von Béla Balázs], in: Kino, 20.7.1926, sowie „Bela zabyvaet noznicy“ [Béla<br />

vergißt die Schere], in: Kino, 10.8.1926.<br />

33 Ebd., S. 137.<br />

34 Ebd., S. 136.<br />

35 Ebd.<br />

36 Ebd., S. 138.<br />

37 Es führt zu weit, im Detail nachzuweisen, wie wenig Eisenstein Balázs’ Text als solchen ernst genommen hat.<br />

Balázs selbst kritisiert in seinem Vortrag den Hang zu „dekorative[r] Schönheit der einzelnen Aufnahmen“, die<br />

sich gemäldehaft „in sich abgeschlossen, sich gleichs<strong>am</strong> selbst umrahmend“ aus der „fließenden Flut der<br />

Erscheinungen“ herausheben würden, fordert Bewegungsrhytmus und zeigt an seinem Beispiel durchaus auch<br />

den Zus<strong>am</strong>menhang der verschiedenen Aufnahmen bei Eisenstein. Nur betont er etwas anderes.<br />

38 Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 118f.<br />

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