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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Zeichenzus<strong>am</strong>menhang einordnen, ist für das Kind sinnlich erfahrbare Einheit. Interaktionsform und<br />

Symbol sind noch nicht voneinander gelöst. „Erwachsenen wird das zur Assoziation; für das Kind<br />

ist es Identität.“ 157 Außerhalb unserer Welt seien die Menschen und Dinge „ganz anders miteinander<br />

verbunden. [...] Dort kennen die einander sehr gut, die hier so tun, als wären sie einander fremd.“ 158<br />

Die Suche nach dem Erleben solcher „Wahrnehmungsidentität“ von Bild und Begehren führt Balázs<br />

nicht nur über die Utopie einer Gebärdensprache, sondern auch über eine „anthropozentrische<br />

Ausdrucksästhetik“ 159 hinaus. Erlebnisqualität ist für ihn mehr als ein bloßes Attribut der<br />

Wahrnehmung, sie beruht darauf, dass die symbolischen Bilder des Films immer zugleich „eine<br />

Gegenwart haben. Das heißt, die Dinge haben ihre eigene Wirklichkeit und außerdem noch eine<br />

weitere Bedeutung. Aber nur jene Bedeutung zu haben ohne unmittelbare eigene Realität, das macht<br />

das Bild jedes Dinges zu einer toten und leeren Vignette.“ 160 Als bloße Metaphern aneinandergereiht<br />

verlören die Bilder ihr Leben, als „in der begrifflichen Sphäre ausgedachte, literarische Gleichnisse“ 161<br />

würden sie zum Kitsch herabsinken.<br />

In einem seiner Feuilletons für Der Tag hatte Balázs über die Grenzen der Wahrnehmung und ihre<br />

Überschreitung nachgedacht, unter der Überschrift „Wozu brauchen die Engel Flügel?“. Darin<br />

definierte er das Übersinnliche als jenen Bereich der Natur, den wir mit unseren Sinnesorganen nicht<br />

zu perzipieren vermögen. Unseren Wahrnehmungsorganen wohnt, so Balázs, eine doppelte Funktion<br />

bei, „gewisse Eindrücke aufzunehmen und uns gegen andere zu schützen“. 162 Jene Welt jenseits<br />

unserer Sinne würde uns gleichwohl berühren, ohne dass wir es merken. „Diese Dinge liegen<br />

gleichs<strong>am</strong> zwischen unseren Organen wie die Nase zwischen unseren Augen, die wir darum auch<br />

157<br />

Ebd., S. 27. Anfang 1931 veröffentlichte Balázs in der Zeitschrift Filmtechnik ein Exposé für ein Tonfilm-<br />

Experiment, das er ein Jahr zuvor (in einer früheren Fassung) Sergej Eisenstein zur Verwirklichung angeboten<br />

hatte. In ihm wird aus der Perspektive eines Kindes die Liebesunordnung einer F<strong>am</strong>ilie verfolgt, in der der Vater<br />

die Mutter mit dem Kinderfräulein betrügen will, das seinerseits an einen anderen gebunden ist. „Ein paar große<br />

Kinderaugen ... [...]. Alles was nun zu sehen sein wird, sehen diese Augen. Der Zuschauer sieht nur das, was<br />

diese Augen sehen, und sieht alles so, wie diese Augen es sehen! Die Welt erscheint auf der Leinwand so, wie ein<br />

phatasiereiches, nervöses Kind sie erlebt. Mit seinen Halluzinationen und Träumen. Zuweilen auch lieblich<br />

komisch, aber meist gespenstisch und geheimnisvoll. Es ist phantastischer als ein Märchen und phantastischer<br />

als die dekorativen Wahnsinnsbilder von Caligari.“ (Balázs, Schriften zum Film. Band 2, S. 326, Anmerkung 32,<br />

[zuerst in: Filmtechnik, 21.2.1931].) Den staunenden Blick des Knaben will Balázs mit der akustischen<br />

Wahrnehmung der blinden Großmutter kontrastieren, die gelähmt im Rollstuhl sitzt und nur aus den Geräuschen<br />

und Stimmen ahnt, was um sie geschieht.<br />

158<br />

Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 35.<br />

159<br />

Koch, „Die Physiognomie der Dinge“, S. 77.<br />

160<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 104f.<br />

161<br />

Ebd., S. 104.<br />

162<br />

Béla Balázs, „Wozu brauchen die Engel Flügel?“, in: Der Tag, 25.4.1925, S. 5.<br />

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