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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Wenn Helmut Diederichs also Balázs’ sichtbaren Menschen als Höhepunkt einer<br />

„Schauspielertheorie“ 128 des Films interpretiert, so wohl vor allem, weil Balázs in Simmels Nachfolge<br />

den physiognomischen Einheitsgedanken zunächst von der Wirkung des Schauspielers auf den<br />

Zuschauer und seiner visuellen Erkundung durch die K<strong>am</strong>era her entwickelt, und erst im nächsten<br />

Schritt zur Physiognomie der Dinge weitergeht.<br />

„Der Schauspieler, der ‘sichtbare Mensch’, steht im Vordergrund, sein Typus und sein Charakter,<br />

sein Mienenspiel und seine Gebärdensprache.“ 129 Tatsächlich stehen im Zentrum von Balázs’<br />

Filmkritiken der Wiener Zeit, und d<strong>am</strong>it auch seines ersten Filmbuches, immer wieder die<br />

Physiognomien der großen Darsteller, ob Asta Nielsen, Lilian Gish oder Pola Negri, Paul Wegener,<br />

Charlie Chaplin oder Emil Jannings. „Denn der Urstoff, die poetische Substanz“ des Films ist die<br />

sichtbare Gebärde.“ 130 Doch wenn Diederichs schreibt, für die „Schaupielertheorie“ gelte, „daß das<br />

Künstlerische eines Films sich vor der K<strong>am</strong>era abspielt, in der künstlerischen Szene besteht und daß<br />

die mimische und gestische Kunst des Schauspielers von der K<strong>am</strong>era bloß reproduziert wird“ 131 ,<br />

dann bleibt unverständlich, warum schon im sichtbaren Menschen der Schauspielkunst, der<br />

Technik des Mienenspiels nur wenige Seiten gewidmet sind. Wenn von den Schauspielern die Rede<br />

ist, dann um ihr dr<strong>am</strong>atisches Verhältnis zueinander, zu den Dingen und Milieus, schließlich zum<br />

Zuschauer zu diskutieren.<br />

Anders als in der französischen Diskussion ab 1919 um die Wirkung des „Photogenies“, die von<br />

Beginn an explizit die Frage nach der Technik und d<strong>am</strong>it nach dem Charakter des Mediums stellt,<br />

kreist Balázs’ Theorie um den Menschen und seinen Wunsch, sich aufzulösen. Während Louis<br />

Delluc, Leon Moussinac, Jean Epstein oder Riciotto Canudo in ihren frühen Texten vom Oszillieren<br />

des Mediums ausgehen, seinem paradoxen „Dazwischen von anwesender und abwesender<br />

Bedeutung“ 132 , von Licht und Bewegung, von der Materialisation des Immateriellen, geht Balázs<br />

einen umgekehrten Weg. Zwar schreibt er, es käme letztendes „doch nur auf den Menschen an. Und<br />

bedeuts<strong>am</strong> werden die Mienen der Dinge nur insofern, als sie eine Beziehung zum Menschen<br />

haben“. 133 Sein Begriff einer „erweiterten Physiognomie“ 134 aber zielt nicht auf schauspielerische<br />

128<br />

Diederichs, „Die Wiener Zeit“, S. 38; Anfänge deutscher Filmkritik, S. 170; „Béla Balázs und die<br />

Schauspieltheorie“, S. 554.<br />

129<br />

Diederichs, „Die Wiener Zeit“, S. 37.<br />

130<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 60.<br />

131<br />

Diederichs, „Béla Balázs und die Schauspieltheorie“, S. 554.<br />

132<br />

Caroline Weber, „Photogénies: Filmtheoriegeschichtliche Aufarbeitung eines zentralen Konzepts der ersten<br />

Filmavantgarde in Frankreich“ [unveröffentlichtes Arbeitspapier im Teilprojekt „Historische Intermedialität des<br />

Films“ im DFG Projektverbund „Theorie und Geschichte der Medien“, 1997], S. 4.<br />

133<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 98.<br />

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