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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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und Innen, von Denken und Sein, in der Welt der absoluten Zeit und des absoluten Raumes, in der<br />

Welt auch des Traumes, der Traumseele verwandelt sich ein Ding in das andere, der Mensch in den<br />

Mond, der Mond in einen großen, goldenen Fisch, der Fisch in einen Vogel. Lesen Sie die Märchen<br />

der Indianer und der primitiven Völker [...].“ 123<br />

Auch Balázs spricht im Zus<strong>am</strong>menhang der Physiognomie von einem „Rassencharakter“, einem<br />

Ensemble angewachsener Gebärden, das durch individuelles Mienenspiel nur zu variiert werden<br />

braucht. Doch Balázs stellt diesen Ausdruck eines naturhaften Wesens in ein doppeltes<br />

Spannungsverhältnis: „Die feste Physiognomie drückt die Natur eines Menschen aus, seinen<br />

Charakter, der der Rasse entspricht, und das, was ihm sein Schaffen im Leben erbracht hatte. Wie<br />

sich die geerbten Rasseeigenschaften zu der Absicht der Seele des Individuums verhalten, so verhält<br />

sich die Mimik zu der festen Physiognomie.“ 124 Gegenüber der Physiognomie vertrete die Mimik<br />

zugleich aber auch ein zutiefst utopisches Moment, den Wunsch, ein anderer zu sein, „jene Wahrheit<br />

unserer Seele, die tiefer verborgen liegt als unsere Natur“. 125 In einem seiner letzten Feuilletons für<br />

Der Tag hat Balázs dieses Verhältnis von Natur und Individualität noch radikaler gefasst: „Dort, wo<br />

das Unechte beginnt, dort beginnt der Mensch. (Man sollte es vielleicht doch nicht verachten.) Denn<br />

je weniger Rasse, je mehr Individualität er hat, um so unechter wird er. Unsere tiefe Sehnsucht nach<br />

Echtheit aber ist unsere Sehnsucht nach dem Nichtsein“ 126 - eine tiefe Sehnsucht, wie Balázs<br />

schreibt, „nach dem verlorenen Paradies der Unfreiheit, in dem wir wie im Mutterleib noch kein<br />

selbstbestimmtes eigenes Leben zu leben brauchen.“ 127 Es sind Momente eines prekären<br />

Gleichgewichts, nach denen er sucht - zwischen dem Fall in das Nichtsein der Bewusstlosigkeit und<br />

der Eins<strong>am</strong>keit des Bewusstseins, des Gewollten und Gemachten - in denen eine Begegnung<br />

zwischen den Seelen stattfinden kann. Vor diesem „dazwischen“ freilich versagen die Begriffe. Wenn<br />

Asta Nielsen vor der K<strong>am</strong>era einfach nur „ist“, dann sind Mimik und Physiognomie, Intention und<br />

Natur in eins gefallen. Dann öffnet sich ihr Wesen dem Anderen, also auch uns. Und es gibt nichts<br />

mehr darüber zu sagen...<br />

122<br />

Vgl. ebd. S. 81f.; siehe auch Rudolf Kassner, Das physiognomische Weltbild. München: Delphin-Verlag, 1930,<br />

S. 82f.<br />

123<br />

Kassner, Die Grundlagen der Physiognomik, S. 86.<br />

124<br />

Béla Balázs, „Physiognomie“, in: ders., Schriften zum Film. Band 1, S. 206 [zuerst in: Tüz, 23.7.1923].<br />

125<br />

Ebd., S. 207.<br />

126<br />

Béla Balázs, „Echtes, Allzuechtes“, in: ders., Schriften zum Film. Band 1, S. 356 [zuerst in: Der Tag, 17.1.1926].<br />

127 Ebd.<br />

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