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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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ein „gleichs<strong>am</strong> antiliguistische[s] Konzept“. 104 In den Worten Michail J<strong>am</strong>polskis: „Denn gerade das<br />

Gesicht vereinigt im Labyrinth seiner Mimik äußere und innere Bedeutungen, d.h. es funktioniert<br />

teilweise wie der Film“ und seine „kompliziert organisierten spiegelartigen Montagestrukturen“. 105<br />

Die Entwicklung, die sich im physiognomischen Ausdruck vollzieht, sieht Balázs als Prozess der<br />

wechselseitigen Durchdringung, als „Legato der visuellen Kontinuität“. 106 Sind die Worte flach, so<br />

eröffne das Mienenspiel in seiner im Raume ausgebreiteten Widersprüchlichkeit den Anblick<br />

abgründiger Tiefen, den Blick ins Dunkel, in einen Raum, der als Gestalt sichtbar wird.<br />

Georg Simmel hatte in seinem Aufsatz über die ästhetische Bedeutung des Gesichts Wert auf die<br />

Feststellung gelegt, dass erst die höchste Spannung in sich beschlossener Vielfalt das Gesicht als<br />

Utopie der vollendeten organischen Einheit realisiere. „Das Ideal menschlichen Zus<strong>am</strong>menwirkens:<br />

daß die äußerste Individualisierung der Elemente in eine äußerste Einheit eingeht“ 107 , erzwinge<br />

zugleich den restlosen Bezug aller Elemente aufeinander. Und dies forderte Simmel auch von der<br />

Leistung des Schauspielers: „[D]aß alle in die Unendlichkeit von Zeit und Raum verlaufenden Fäden<br />

nach innen zu einer selbstgenugs<strong>am</strong>en Umgrenztheit zus<strong>am</strong>mengeknüpft werden, daß das<br />

Durcheinander der Wirklichkeit rhytmisch geordnet werde.“ 108 Schauspielkunst sei die Fähigkeit, die<br />

„Lebendigkeitspunkte“ 109 der einzelnen Wirklichkeiten so miteinander in Beziehung zu setzen, dass<br />

eine neue Realität entstünde, nicht nur ein „Kompositum aus selbständigen optischen Reizen“ 110 ,<br />

während hingegen, so Simmel, „das mechanistische Prinzip die Erscheinungen gleichs<strong>am</strong> enteignete<br />

und sie, mehr oder weniger äußerlich nur aus anderen zus<strong>am</strong>mensetzte“. 111<br />

Rudolf Kassner hingegen versuchte, parallel zu diesem organischen Prinzip des Ausdrucks, einen<br />

dyn<strong>am</strong>ischen Begriff der Physiognomie zu entwickeln und die traditionelle Suche der Physiognomiker<br />

nach statischen „Gesetzmäßigkeiten“ aufzubrechen. „Es gibt keinen Parallelismus zwischen<br />

Eigenschaft und Merkmal“ 112 , schreibt er in Die Grundlagen der Physiognomik, und er geht „nicht<br />

104<br />

Wuss, Kunstwert des Films, S. 144.<br />

105<br />

J<strong>am</strong>polski, „Die Geburt einer Filmtheorie aus dem Geist der Physiognomik“, S. 97.<br />

106<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 79.<br />

107<br />

Simmel, „Die ästhetische Bedeutung des Gesichts“, S. 141.<br />

108<br />

Georg Simmel, „Der Schauspieler und die Wirklichkeit“ [1912], in: ders., Das Individuum und die Freiheit, S.<br />

157.<br />

109<br />

Ebd., S. 159.<br />

110<br />

Ebd., S. 158.<br />

111<br />

Ebd., S. 159.<br />

112<br />

Rudolf Kassner, Die Grundlagen der Physiognomik. Leipzig: Insel, 1922, S. 19.<br />

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