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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Status einer Entität.“ 97 Deleuze wundert sich, dass Balázs anderen Großaufnahmen abspricht, was<br />

er dem Gesicht zugesteht und gibt dafür doch selbst einen zwingenden Hinweis: „Immer dann, wenn<br />

wir an etwas die zwei Pole von reflektierender Oberfläche und intensiven Mikrobewegungen<br />

entdecken, können wir sagen: Die Sache ist wie ein Gesicht (visage) behandelt worden, ihr wird ‘ins<br />

Gesicht gesehen’ (envisagée), oder vielmehr, sie hat ein ‘Gesicht bekommen’ (visagéifiée), und nun<br />

starrt sie uns an (dévisage), sie betrachtet uns...“ 98 Während also die Großaufnahme auch Dinge in<br />

ein Gesicht zu verwandeln vermag, so ist das menschliche Antlitz selbst das Urbild der<br />

Großaufnahme schlechthin: „von einem Gesicht gibt es keine Großaufnahme, das Gesicht ist als<br />

solches Großaufnahme und die Großaufnahme per se Gesicht [...]“ 99 , eine Entität nämlich, die<br />

zugleich Ausdrucks- und Reflexionsfläche darstellt. Es teilt mit und es empfängt zugleich, von innen<br />

und von außen. Es ist das Gesicht des „dre<strong>am</strong>-screen“, das nährende Gesicht, von dem Erfüllung<br />

ausgeht und in das sich zugleich die Vorstellung von etwas anderem - einem Objekt der Narration -<br />

sich einschreibt: Die Großaufnahme zeigt uns das, was wir sehen, als sei es das Bild unseres<br />

Wunsches. Balázs selbst wird sich diesem Gedanken, der Physiognomie als einer eigenen Dimension,<br />

als eines eigenen Wahrnehmungsraums, im Laufe der Jahre weiter annähern.<br />

Zunächst unterscheidet er, und dies ist sein intuitiver Ausgangspunkt, Physiognomie von Sprache,<br />

und zwar darin, dass sie sich nicht in der Zeit, sondern in der Simultaneität, also im Raume ausdehnt.<br />

„Es kommt daher, daß die Bedeutung der Worte teils zeitgebundener ist als die des Mienenspiels<br />

und teils im notwendigen Nacheinander der Worte keine gleichzeitige Harmonie, kein Akkord ihrer<br />

Bedeutungen entstehen kann.“ 100 Deutlicher noch als Jean Epstein, der zunächst eine „eigene<br />

Gr<strong>am</strong>matik“ 101 des Films zu begründen versuchte, und zugleich den Film von jeder herkömmlichen<br />

Gr<strong>am</strong>matik abhob 102 , verfolgte Balázs, indem er „das Gesicht zum Modell der Filmsprache erhob“ 103<br />

97<br />

Deleuze, Das Bewegungs-Bild, S. 134.<br />

98<br />

Ebd., S. 124.<br />

99<br />

Ebd.<br />

100<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 78.<br />

101<br />

Jean Epstein, „De quelques conditions de la Photogénie“, in: ders., Écrits sur le cinéma, Paris 1974, S. 146f.<br />

[zitiert nach Wuss, Kunstwert des Films, S. 116].<br />

102<br />

„Während in der Gr<strong>am</strong>matik der Teil nicht ohne Verwegenheit das Ganze ersetzt, wird hier das Ganze durch den<br />

Teil substituiert, der fähig ist, <strong>am</strong> stärksten zu beeindrucken.“ (Ebd.) Epstein wird später, nach 1945, noch sehr viel<br />

dezidierter die Logik der Bilder von jeder klassischen Logik und Gr<strong>am</strong>matik unterscheiden. Vgl. dazu auch Jean<br />

Epstein, „Die Logik der Bilder“, in: Alphons Silbermann, Mediensoziologie. Bd. 1: Film. Düsseldorf/Wien: Econ,<br />

1973, S. 158-161[ursprünglich in: Jean Epstein: Esprit de cinéma, Paris 1955].<br />

103<br />

Michail J<strong>am</strong>polski, „Die Geburt einer Filmtheorie aus dem Geist der Physiognomik“, in: Beiträge zur Film und<br />

Fernsehwissenschaft, H. 2 (1986), S. 97.<br />

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