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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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dem vorläufig alles aufhört.“ 80 So bleibe der Kunst, auch dem Film, der Weg der Erlösung, des<br />

endgültigen Eintritts in eine mystisch-magische Welt der Einheit versperrt, denn jener andere Zustand<br />

sei niemals, außer in krankhafter Form, von Dauer, bleibt ein hypothetischer Grenzfall. So erscheint<br />

Musil die Kunst „als ein unselbständiger Zustand, als eine Brücke, die vom festen Boden sich<br />

wegwölbt, als besäße sie im Imaginären ein Widerlager“. 81<br />

Ob Balázs’ Betonung der Rolle des Schauspielers in diesem Zus<strong>am</strong>menhang es rechtfertigt, von<br />

seinen Schriften der Wiener Zeit als einer „Schauspielertheorie“ zu sprechen? 82 Jörg Schweinitz geht<br />

über diese enge Deutung zwar hinaus, wenn er schreibt:<br />

„Im Grunde war die ges<strong>am</strong>te frühe Filmtheorie, bis hin zu Balázs`’Der sichtbare Mensch’ (1924)<br />

physiognomisch fundiert. Der darstellende Mensch verband Kino und Theater.“ 83 Doch steht auch<br />

für ihn die zentrale Rolle des „Darstellers“ außer Frage. Gertrud Koch hat das Paradigma der<br />

„Schauspielertheorie“ radikaler in Frage gestellt und Balázs’ Begriff von Physiognomie in den<br />

Kontext der Essyaistik Georg Simmels gestellt. Koch betont den Zus<strong>am</strong>menhang zwischen<br />

Menschen und Dingen in Balázs’ Ästhetik und fasst sie unter dem Paradigma einer<br />

„anthropomorphen Poetik“ 84 zus<strong>am</strong>men. Tatsächlich hatte Balázs schon 1907 mit diesem Begriff das<br />

Progr<strong>am</strong>m seiner Ästhetik umrissen. In der Wissenschaft, so notiert er <strong>am</strong> 27. November 1907 im<br />

Tagebuch, seien die anthropomorphistischen Theorien die primitiveren, zu überwindenden, in der<br />

Kunst sei es gerade umgekehrt. Explizit an Georg Simmel anknüpfend stellt er die Frage, ob der<br />

Anthropomorphismus nicht die Grundlage jeder Weltbetrachtung sei, die Vorstellung an die Analogie<br />

zur Natur des Betrachtenden selbst gebunden sei: „[S]ehen wir womöglich nur anthropomorphe<br />

Dinge?“ 85 Und die narzisstische Steigerung dieses Gedankens lautet: „ich bin auf dem Weg, der<br />

einzig zur Erlösung führt, ich, der die ganze Welt anthropomorphisieren möchte.“ 86 Ein solcher<br />

80 Ebd., S. 1147.<br />

81 Ebd., S. 1154.<br />

82 Vgl. Diederichs, „Die Wiener Zeit“, S. 37f.; sowie Helmut H. Diederichs, „Béla Balázs und die Schauspieltheorie<br />

des Stummfilms. ‘Der sichtbare Mensch’ und seine Vorläufer“, in: Wechselwirkungen. Ungarische Avantgarde in<br />

der Weimarer Republik, S. 554-559.<br />

83 Schweinitz, Prolog vor dem Film, S. 296f.<br />

84 Gertrud Koch, „Die Physiognomie der Dinge“, in: Frauen und Film, Nr. 40 (August 1986), S. 74. Der Begriff<br />

bleibt freilich unscharf: Im gleichen Aufsatz spricht sie auch von einer „anthropozentrischen Ausdrucksästhetik“<br />

(S. 77) und <strong>am</strong> Ende gar von einer „anthropologisch zentrierten Ästhetik“ (S. 81), was höchst unterschiedliche<br />

Deutungen zulässt.<br />

85 Balázs, Napló 1903-1914, S. 447.<br />

86 Ebd.<br />

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