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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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dementierter These von der Zertrümmerung der „lesbaren Kultur“ entschieden, wenn er daran<br />

festhält, dass das Schicksal des Films nicht als Erlösung von der Literatur, sondern sich mit ihr<br />

gemeins<strong>am</strong> vollziehen würde. Musil beschreibt Balázs’ „Methode“ mit einer Hochachtung, die auf<br />

der noch gar nicht gänzlich verarbeiteten, überraschenden Beobachtung beruht, wie sehr die Ästhetik<br />

des Films bislang unerkannte Fragen der Literatur zum Vorschein zu bringen vermochte. Die<br />

ethnographischen Bilder von teilnehmender Beobachtung, in denen Musil diese Konfrontation<br />

beschreibt, werden im Verlauf seines Essays selbst thematisch. Balázs erzähle „wie ein Jäger, der<br />

sich herangeschlichen hat, vom Leben der Filmstücke, die in endlosen Rudeln durch unsere Kinos<br />

ziehen, aber er beschreibt sie gleichzeitig als erster Anatom und Biologe. Und indem er dies tut,<br />

immer gleichzeitig im Erlebnis und in der Reflexion, schafft sein ungewöhnliches Talent auf dem<br />

wüsten Gebiet der Filmtechnik ein unerwartetes Paradigma auch für die Kritik der Literatur, die er<br />

überall dort berührt, wo er den Film von ihr abgrenzt.“ 73<br />

Musil steht nicht hintan, Balázs darin zu bestätigen, dass der Film die Frage nach der Rolle der Kunst<br />

auf neue, radikal zeitgemäße Weise zu stellen vermag, angesichts der „Krisis einer Midasexistenz,<br />

der jedes, wenn nicht zu Geld, so zu Eisenbeton wurde“. 74 Musils Interpretation des Films als<br />

Ausdruck einer „unentrinnbaren Antithese“ 75 , einer unvermeidlichen Aporie der Kunst überhaupt,<br />

fußt auf der Annahme einer Polarität zwischen der Dimension eines „Normalzustand[es] unserer<br />

Beziehungen zu Welt, Menschen und eigenem Ich“ 76 und der Dimension eines „‘andere[n] Zustand’<br />

jenseits jener ‘Grenze zweier Welten’“ 77 , ein Zustand der „Entrückung, der Willenlosigkeit, der<br />

Einkehr und vieler anderer Seiten eines Grunderlebnisses, das in Religion, Mystik und Ethik aller<br />

historischen Völker ebenso übereinstimmend wiederkehrt, wie es merkwürdig entwicklungslos<br />

geblieben ist“. 78 Musil wehrt den Versuch ab, in diesem „anderen Zustand“, diesem „schattenhaften<br />

Doppelgänger unserer Welt nur einen Tagtraum zu sehen“. 79 Zu sehr hinterlässt jene andere Existenz<br />

ihre Spuren inmitten der realen Welt, des gewöhnlichen Lebens. Zugleich weist Musil jeden<br />

Anspruch auf eine Synthese der zwei Welten, auf eine mögliche Befreiung vom „Normalzustand“ der<br />

Entfremdung zurück, die doch nur in das „dunkle Gebiet des ‘anderen Zustands’“ führen würde, „in<br />

73 Ebd.<br />

74 Ebd., S. 1145.<br />

75 Ebd., S. 1147.<br />

76 Ebd., S. 1143.<br />

77 Ebd., S. 1153.<br />

78 Ebd., S. 1144.<br />

79 Ebd.<br />

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