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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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die großen Massen bestehen.“ 57 Auch die Bewegung der Masse sei eine Gebärde, zeige auch als<br />

„Gesellschaft [...] ihre Physiognomie“. 58 Der individuelle Kern des Menschen, so ist Balázs sich<br />

sicher, ist zugleich seine Identität mit dem anderen. Im Film sei der Zugang zur unverstellten<br />

Seelenwirklichkeit dieses Anderen endlich gefunden, der Nebel der Worte durchstoßen. „Seine<br />

Gebärden bedeuten überhaupt keine Begriffe, sondern unmittelbar sein irrationales Selbst. [...] Hier<br />

wird der Geist unmittelbar zum Körper, wortelos, sichtbar.“ 59 Die Sprache der Gebärden, so hofft<br />

Balázs, sei die Rückkehr zur „eigentliche[n] Muttersprache der Menschheit“. 60 Die spontanen<br />

Gebärden sollen die Menschheit wieder zum Ursprung der Sprache zurückführen. An diesem<br />

Ursprung aber würde Sprache, also intentionale Mitteilung, Zeichen und Syntax zurückfallen in<br />

selbstvergessenen Ausdruck, in magische Identität von Wunsch und Erfüllung. Preisgegeben dem<br />

„Gewicht der selbstverständlichen Existenz“ 61 , der „unmittelbaren Körperwerdung des Geistes“ 62<br />

komme die Präsenz der Seele im körperlichen Ausdruck dann zur Vollendung, wenn das „bewußte<br />

Wissen [zu] unbewußter Sensibilität“ 63 wird. Pola Negri mag, so schreibt Balázs, die vollendetere<br />

Schauspielerin sein. Doch „sie macht, was Asta Nielsen einfach ist.“ 64<br />

Balázs’ Parteinahme für eine „Sprache“ des Ausdrucks und gegen die Sprache der Begriffe wird<br />

wenige Jahre später, in der Auseinandersetzung mit Sergej Eisenstein und der Bedeutung der<br />

Montage thematisch werden. Dabei vergisst Balázs die Rolle des Schnitts, also der Montage (unter<br />

dem Stichwort „Bilderführung) schon im sichtbaren Menschen keineswegs. Doch er versteht sie<br />

nicht als Konstruktion einer visuellen Syntax, sondern als Mittel der „visuellen Kontinuität“. 65 Heinz<br />

B. Heller sieht in solchen Vorstellungen, die „verlorengegangene Unmittelbarkeit sinnlicher Erfahrung<br />

und Aneignung von Wirklichkeit zu restituieren“ 66 , letztlich nur eine Fortsetzung bürgerlich-<br />

idealistischer „Repräsentationskunst“. 67<br />

57<br />

Ebd., S. 88.<br />

58<br />

Ebd., S. 87. In seinem zweiten Filmbuch Der Geist des Films wird Balázs von der Masse gar als „Organismus“,<br />

als „Kollektiv-Lebewesen“ sprechen (Balázs, „Der Geist des Films“, S. 108).<br />

59<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 52.<br />

60<br />

Ebd., S. 53.<br />

61<br />

Ebd., S. 71.<br />

62<br />

Ebd., S. 56.<br />

63<br />

Ebd.<br />

64<br />

Béla Balázs, „Die Fl<strong>am</strong>me“, in: ders., Schriften zum Film. Band 1, S. 168 [zuerst in: Der Tag, 9.2.1923].<br />

65 Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 63.<br />

66 Heller, Literarische Intelligenz und Film, S. 233<br />

67 Ebd., S. 237.<br />

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