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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Es ist der Film, der die Einheit einer zerstörten Ur-Sprache wiederherstellen soll, einen „lebendigen<br />

und konkreten Internationalismus“ 50 , der freilich für Béla Balázs noch seine Grenzen hat: „[D]ie<br />

einzige und gemeins<strong>am</strong>e Psyche des weißen Menschen“. 51 So fällt für Balázs die „Ur-Sprache mit<br />

dem Ur-Körper, der Psyche, zus<strong>am</strong>men“ 52 , eine Psyche, deren Substanz Balázs in der Fähigkeit des<br />

Kindes verortet, zu staunen und sich diesem Staunen hinzugeben. Das Kino ist ihm jener Ort, an dem<br />

die städtischen Massen wieder in den Stand der Kindheit, ihren gemeins<strong>am</strong>en Ursprung zurückfallen<br />

können. Und er will, auch als „Revolutionär“, das Publikum aus dieser „unbefangenen süßen<br />

Kindlichkeit“ 53 nicht herausreißen. „Denn das Kino war ja bis jetzt das glückliche Paradies der<br />

Naivität, wo man nicht gescheit, gebildet und kritisch sein mußte, in dessen Dunkel, wie in der<br />

Rauschatmosphäre einer Lasterhöhle, auch die kultiviertesten und ernstesten Geister sich ihrer<br />

verpflichtenden Bildung und ihres strengen Geschmacks ohne Sch<strong>am</strong> entkleiden konnten, um sich in<br />

nackter, urnatürlicher Kindlichkeit dem bloßen, primitiven Zuschauen hinzugeben.“ 54<br />

So, wie das gedruckte Buch aus dem „sichtbaren Geist“ einen „lesbaren Geist“ gemacht habe, eine<br />

„Begriffskultur“ 55 also, die den Körper und seine leibliche Geste in den Hintergrund der Seele<br />

beraubt habe, so würde nun die im Entstehen begriffene „visuelle Kultur“ das unmittelbare<br />

körperliche Empfinden und seinen Ausdruck wieder rehabilitieren, zu einer neuen Einheit von Geist<br />

und Körper, Seele und Massenkultur vorstoßen. „Die Kultur der Worte ist eine entmaterialisierte,<br />

abstrakte, verintellektualisierte Kultur, die den menschlichen Körper zu einem bloßen Organismus<br />

degradiert hat. Aber die neue Gebärdensprache, die da kommt, entspringt unserer schmerzlichen<br />

Sehnsucht, mit unserem ganzen Körper, vom Scheitel bis zur Sohle wir selbst, Mensch sein zu<br />

können (nicht nur in unseren Worten) und unseren eigenen Leib nicht mehr als fremde Sache, als<br />

irgendein praktisches Werkzeug mit uns schleppen zu müssen. Sie entspringt der Sehnsucht nach<br />

dem verstummten, vergessenen, unsichtbar gewordenen leiblichen Menschen.“ 56<br />

Der Film sei das erste Medium, das der Masse selbst Ausdruck verleihen könne, nicht als<br />

organisierte Zahl, und nicht als gesellschaftlicher Wirkungszus<strong>am</strong>menhang, sondern als Träger einer<br />

identischen Substanz, miteinander verschmolzen, als Ausdruck des „warmen Seelenstoff, aus dem<br />

50<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 58.<br />

51<br />

Ebd.<br />

52<br />

Lorenz, Wissen ist Medium, S. 77.<br />

53<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 50.<br />

54<br />

Ebd., S. 49.<br />

55<br />

Balázs, „Kinokritik !“, S. 151.<br />

56<br />

Balázs, „Der sichtbare Mensch“, S. 54.<br />

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