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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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sich unaufhörlich um mich herum, und meine brachliegenden Kräfte hinterlassen in mir das Gefühl<br />

einer schmerzhaft gespannten Muskulatur.“ 32<br />

Balázs’ Drehbücher in Wien sind keineswegs ein Erfolg. Nach KAISER KARL und DER<br />

UNBEKANNTE AUS RUSSLAND wird lediglich, ebenfalls durch Hans Otto Löwenstein, sein Beitrag zu<br />

dem Episodenfilm MODERNE EHEN (1924) verfilmt. Zwei ausgearbeitete Szenarien für Alexander<br />

Korda („Die Stadt des Meister Cornelius“ und „Wandre Seele, wandre“), und auch ein Projekt für<br />

die Sunfilm („Zirkus Menschheit“ nach einer Idee von Friedrich Porges) werden nicht realisiert. 33<br />

Doch wenige Wochen nach seinem Artikel in der Roten Fahne erhält Balázs Gelegenheit, seine<br />

Begeisterung für das neue Medium und seinen „Legendenschatz“ in anderer Form Ausdruck zu<br />

verleihen: als Filmkritiker. Am 25. November 1922 erschien, gegründet durch den Bankier Sigmund<br />

Bosel, zum ersten Mal die neue Wiener Tageszeitung Der Tag, nachdem ein neues bürgerlich-<br />

demokratisches Pressegesetz in Österreich die Zensurbestimmungen der Monarchie abgelöst hatte.<br />

Der Tag präsentierte sich seinen Lesern als bürgerlich-liberales Blatt und bekannte sich zugleich zu<br />

einer gesellschaftlichen Mission: „Wir fühlen uns“, so stellte sich die Zeitung vor, „als ein leidender<br />

und tätiger Teil jenes Bürgertums, das sich zum Evangelium sozialen Fühlens und Handelns bekennt<br />

und den Wiederaufbau der Wirtschaft wie der Gesellschaft für alle arbeitenden Bürger dieses Staates<br />

und der ganzen Welt erstrebt.“ 34<br />

Balázs erhielt das Angebot, als ständiger Mitarbeiter der Zeitung eine eigene Rubrik „Der<br />

Filmreporter“ zu betreuen. Am 1. Dezember 1922, keine Woche nach der Gründung des Tag,<br />

erschien Balázs’ erster Artikel, eine progr<strong>am</strong>matische Begründung der Filmkritik, die Béla Balázs in<br />

den nun folgenden Jahren zu einer eigenständigen Form der Annäherung an das nun schon nicht mehr<br />

ganz neue Medium erheben sollte, zu einer fragmentarischen Ästhetik des Films. 35<br />

32 Balázs, Napló 1914-1922, S. 521. Eintrag vom 16.10.1922. Balázs beschreibt hier auch noch einmal die<br />

ungarische Emigrantenszene in Wien, und einen ihrer Treffpunkte, das Café Stöckl im XIII. Bezirk, wo so<br />

unterschiedliche Schriftsteller und Künstler wie Lajos Kassák, Alexander Korda, Lajos Hatvany und Aladár<br />

Komlós zus<strong>am</strong>men k<strong>am</strong>en. Darüber müsste er noch einen Roman schreiben. (Ebd., S. 518f.)<br />

33 Balázs vermutet, Korda habe die Szenarien nicht angenommen, weil keine geeignete Rolle für seine Frau dabei<br />

gewesen wäre. Mit diesem Problem wird Balázs, in anderer Besetzung, bald wieder zu tun haben. Enttäuscht habe<br />

er, so heißt es weiter, alles hingeschmissen und sei zu René Spitz an den Wörthersee gefahren. (Balázs, Napló<br />

1914-1922, S. 520f.)<br />

34 Zit. nach ebd., S. 29. Bosel habe sich, so erinnerte sich Anna Balázs 1974, zwar mehr für die Börsenberichte<br />

interessiert, aber es sei ihm doch daran gelegen gewesen, bekannte Intellektuelle für sein Blatt zu gewinnen.<br />

Alfred Polgar lieferte Theaterkritiken und auch Arnold Höllriegel, Max Brod, Robert Musil, Friedrich Porges und<br />

Stefan Großmann schrieben für den Tag, der niemals ein wirkliches Massenblatt wurde, sondern eher das<br />

gehobene, bildungsbürgerliche Publikum erreichte (vgl. ebd., 29f).<br />

35 Balázs war, wie Helmut Diederichs betont, dabei keineswegs der erste Filmkritiker, für den die „Attribute der<br />

Regelmäßigkeit und Ernsthaftigkeit“ zutreffen würden. (Helmut H. Diederichs, „Die Wiener Zeit: Tageskritik und<br />

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