12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

sinnliche Bild für geistige Wahrheit, die der ratio unerreichbar ist. [...] Mir aber erscheint die<br />

Atmosphäre des Kinos die einzige Atmosphäre, in welcher die Menschen unserer Zeit - diejenigen<br />

welche die Massen bilden - zu einem ungeheuren, wenn auch wunderlich zugerichteten geistigen Erbe<br />

in ein ganz unmittelbares, ganz hemmungsloses Verhältnis treten, Leben zu Leben, und der<br />

vollgepropfte, halbdunkle Raum mit den fliegenden Bildern ist mir [...] beinahe ehrwürdig, als die<br />

Stätte, wo die Seelen in einem dunklen Selbsterhaltungsdrange hinflüchten, von der Ziffer zur<br />

Vision.“ 6<br />

Hofmannsthal hat all dies in seinem Essay einem Freund in den Mund gelegt, mit dem er auf das<br />

Thema gesprächsweise gekommen sei. Derart distanziert präsentiert er die Vision einer neuen<br />

Mythenbildung, deren Beschreibung immer wieder zum selben Wort zurückkehrt: „dunkel“. Was in<br />

den Texten der Kino-Debatten vor dem 1. Weltkrieg mehrheitlich noch als „Abgrund“ beschrieben<br />

wurde, vor dessen Gefahren man warnte, erscheint nun, nach den Verwüstungen des Weltkrieges,<br />

angesichts der Sprachlosigkeit gegenüber den durchlittenen Schrecken, geradezu als privilegierter<br />

Zugang zu einer Ursprache der Menschheit. „In der zweiten Phase der Kinodebatte“, so schreibt<br />

Thorsten Lorenz, „konvertiert der therapeutische Standpunkt der Subjektzentrik zu einem<br />

‘filmzentrischen Standpunkt’. [...] Die Medialität der Filme erhält nun durch einen hermeneutischen<br />

Eingriff einen Sinn zugesprochen.“ 7 Sie besitzen nun, und er zitiert Balázs’ Der sichtbare Mensch,<br />

eine „Autonomie“. „Es beginnt eine archäologische Grabung nach einem ‘eigentlichen Wesen’ des<br />

Films. Man gerät linguistisch-tiefenstrukturell auf die Spur einer filmischen Allsprache, erklärt den<br />

Symbolcharakter und die Bilderschrift des Kinos zu Verwandten des Unbewußten, verfolgt in einer<br />

ethnologischen Exkursion die Repräsentanten des grenzenlosen Raumes und der fremden Unzeit des<br />

Kinos, die Jahrmillionen zurückliegen soll.“ 8<br />

Ursprache, Sprache des Unbewussten, Sprache des Traums: gemeint ist eine Sprache, die nicht<br />

mehr Gr<strong>am</strong>matik und Syntax folgt, die nicht mehr als Diskurs in der Zeit, sondern als Bild im Raum<br />

ihre Tiefe gewinnt, die die Zeit, das Regime der Sukzession, des Nacheinander aufsprengt.<br />

5<br />

Ebd., S. 268.<br />

6<br />

Ebd.<br />

7<br />

Lorenz, Wissen ist Medium, S. 55. Lorenz zitiert dabei Franz Schulz, der 1921 geschrieben hatte: „Es bedarf aber<br />

vielleicht einer Dr<strong>am</strong>aturgie des Films von absolut film-zentrischem Standpunkt.“ (Franz Schulz, „Das Kino, der<br />

Bürger und der keusche Privatdozent“, in: Die neue Schaubühne, Jg. 3, H. 4 (1921), S. 84)<br />

8<br />

Ebd., S. 17.<br />

354

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!