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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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XI.<br />

Sichtbares und Unsichtbares<br />

Wiener Versuche über den Film 1922-1926<br />

11.1 Blicke ins Dunkle<br />

1921, im gleichen Jahr in dem Balázs den „Mantel der Träume“ ausbreitete, schrieb Hugo von<br />

Hoffmannsthal über das Kino, es sei „Der Ersatz für die Träume“. 1 Vor der Welt der Städte, vor der<br />

Monotonie der Arbeit flüchten Hunderttausende, so schreibt er, täglich „in den finsteren Saal mit den<br />

beweglichen Bildern“. 2 Der Film reiße das Publikum mit sich in die dunklen Räume der Kindheit, in<br />

jene „dunkle Region, in die kein geschriebenes und gesprochenes Wort hinabdringt - auf dem Film<br />

aber fliegt indessen in zerissenen Fetzen eine ganze Literatur vorbei, nein, ein ganzes Wirrsal von<br />

Literaturen. [...] Sie leben und leiden, ringen und vergehen vor den Augen des Träumenden; und der<br />

Träumende weiß, daß er wach ist; er braucht nichts von sich draußen zu lassen; mit allem, was in ihm<br />

ist, bis in die geheimste Falte, starrt er auf dieses flimmernde Lebensrad, das sich ewig dreht. Es ist<br />

der ganze Mensch, der sich diesem Schauspiel hingibt; nicht ein einziger Traum aus der zartesten<br />

Kindheit, der nicht in Schwingungen geriete. [...] Diese ganze unterirdische Vegetation bebt bis in<br />

ihren dunkelsten Wurzelgrund, während die Augen vor dem flimmernden Film das tausendfältige Bild<br />

des Lebens ablesen. Ja, dieser dunkle Wurzelgrund des Lebens, er, die Region wo das Individuum<br />

aufhört, Individuum zu sein [...].“ 3 Das Individuum verliert sich in einen Schwindel süßen<br />

Selbstbetruges, der Lust einer Allmacht, vor der sich nichts verbergen kann. „Es ist die Fahrt durch<br />

die Luft mit dem Teufel Asmodi, der alle Dächer abdeckt, alle Geheimnisse freilegt.“ 4<br />

Hofmannsthal erblickte im Film das Medium eines Massenrituals, das auf der „Ahnung der<br />

Unzerstörbarkeit“ einer metaphysischen Substanz beruhte. „Von ihm, wenn er einmal in Schwingung<br />

gerät, geht das aus, was wir die Gewalt der Mythenbildung nennen.“ 5 Im Kino, im Rückgang des<br />

Individums in die Ekstase des kollektiven Traums, sah Hofmannsthal das sinnliche Symbol neu<br />

entstehen. „Vor diesem dunklen Bild aus der Tiefe des Wesen entsteht blitzartig das Symbol: das<br />

1 Hugo von Hofmannsthal, „Der Ersatz für die Träume“, in: ders., Die Berührung der Sphären. Berlin: S. Fischer,<br />

1931, S. 263-268 [zuerst in: Neue Freie Presse, 27.3.1921].<br />

2 Ebd., S. 264.<br />

3 Ebd., S. 267.<br />

4 Ebd., S. 266.<br />

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