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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Auch die Analogie des filmischen Zustandes mit dem von Jacques Lacan beschriebenen<br />

„Spiegelstadium“ 136 , die Metz näher untersucht, wird von ihm schließlich als Erklärung<br />

zurückgewiesen. Schließlich sei gerade die Abwesenheit des Ichs auf der Leinwand für den<br />

filmischen Diskurs entscheidend. 137 Doch was, wenn der Spiegel der Leinwand uns nicht unsere<br />

äußere Erscheinung präsentiert, sondern die Illusion, wir würden unser Inneres, unsere eigene<br />

Phantasie betrachten können. Dann freilich würden wir uns in diesem Spiegel nicht als distinktes,<br />

begrenztes Subjekt konstituieren, sondern im Gegenteil: uns in die Phantasie eines unbegrenzten,<br />

allumfassenden Subjektes auflösen.<br />

Der Zuschauer, der sich selbst als K<strong>am</strong>era, Leinwand und Projektor imaginiert, imaginiert sich<br />

notwendigerweise auch als die Quelle der zum Bild gewordenen Realität selbst, genauer: als der sich<br />

selbst reinkarnierende Schöpfer. Und das heißt nichts anderes als: Gott. Balázs’ Pansymbolismus,<br />

Morins Anthropokosmomorphismus, die Beseelung des Kosmos der Dinge und Wesen durch den<br />

Zuschauer, durch den Blick, ist nichts anderes als die Illusion, Gott zu sein, der Inkarnierung der<br />

eigenen Wünsche nicht nur zusehen zu dürfen, sondern sie, mit der „Allmacht der Gedanken“ selbst<br />

zu bewirken. Jene Momente des Glücks, von denen Metz spricht, in denen das Bild auf der<br />

Leinwand dem gleicht, was ich gerne sehen möchte, dem Bild der Erfüllung meines Wunsches, sie<br />

sind kein „Zufall“, sondern das Progr<strong>am</strong>m des Mediums. Auf sie läuft alles hinaus. Auch das Zögern<br />

der Dr<strong>am</strong>aturgie, die immer wieder inszenierte Verweigerung dieses Glücks durch die Regie, sie<br />

dient nur dazu, die Intensität des Momentes zu steigern, an dem es eintritt, an dem die Illusion perfekt<br />

ist, das ich es bin, der Zuschauer, der diese Bewegung, diese „Realität“, dieses Bild geschaffen hat,<br />

der es durch die Macht des Wunsches und des Blicks hervorgerufen hat. Der Kuss im Film ist die<br />

Erfüllung dieses Wunsches schlechthin, und jedes Retardieren, jedes Hindernis, das den Liebenden in<br />

den Weg gestellt wird, empfindet der Zuschauer, der ihre Überwindung imaginiert, <strong>am</strong> Ende nur als<br />

Beweis seiner eigenen Macht.<br />

„Der Mensch Subjekt der Welt:“, schreibt Edgar Morin, „das ist nur ein Illusionsprogr<strong>am</strong>m. Der<br />

Mensch als Subjekt der Welt: noch ist er nichts weiter und wird vielleicht nie etwas anderes sein als<br />

136 Vgl. Jacques Lacan, „Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen<br />

Erfahrung erscheint“ [1949], in: ders., Schriften 1. Olten/Freiburg: Walter-Verlag, 1973, S. 63-70.<br />

137 „Thus film is like the mirror. But it differs from the primordial mirror in one essential point: although, as in the<br />

latter, everything may come to be projected, there is one thing and one thing only that is never reflected in it: the<br />

spectator’s own body.“ (Metz, The Imaginary Signifier, S. 45.<br />

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