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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Film und Traum gehören zus<strong>am</strong>men, aber welcher Art ist ihr Verhältnis? Träumt der Zuschauer, der<br />

im Kinosaal sich und seine Umgebung vergisst? Zeigt der Film unsere Träume, die wir selbst nicht<br />

mehr zu träumen verstehen? Oder weckt er die Träume des Zuschauers? Enthält der Film, wie<br />

Kracauer schreibt, „traumartige Elemente [...], die ihrerseits den Zuschauer zum träumen<br />

veranlassen“? 95 Versetzt der Film den Zuschauer in den Wahrnehmungsmodus des Traumes oder<br />

imitiert der Film die „Sprache“ des Traummodus? Besitzen Träume, besitzt das Kino eine Sprache<br />

oder interpretiert Sprache nur im nachhinein das, was einer anderen Ordnung als der diskursiven<br />

angehört? Welches Verhältnis schließlich besteht zwischen dem Traum als halluziniertes Imaginäres<br />

und dem Film als gesehenes Imaginäres?<br />

Nicht nur der Film erscheint als Traum, auch der Traum erscheint als Film. Bertr<strong>am</strong> D. Lewin hatte<br />

1946 die Entdeckung gemacht, dass zum „Dispositiv des Traums“ 96 die Traumleinwand gehört, der<br />

dre<strong>am</strong> screen 97 , auf den die Vorstellungsbilder des Traumes projiziert sind. Selten gehört diese<br />

Traumleinwand zum manifesten oder latenten Inhalt des Traumes selbst, zumeist wird sie vom<br />

Träumer gar nicht wahrgenommen. „Nach Lewins Hypothese ist die Traumleinwand die<br />

halluzinatorische, durch den Traum vermittelte Vorstellung der mütterlichen Brust, an welcher der<br />

Säugling nach dem Stillen einschlief. Sie bringt somit einen Zustand der erreichten Befriedigung zum<br />

Ausdruck, wobei sie die anfängliche Disposition der oralen Phase wiederholt, als der Körper noch<br />

keine eigene Grenze hatte, sondern sich unterschiedslos von der Brust aus forterstreckte.“ 98 Freilich<br />

ist es schon wenige Wochen nach der Geburt nicht mehr die Brust, auf die das Neugeborene blickt,<br />

und auf der seine Wünsche ein Bild hervorzurufen imstande sind. Wie René Spitz, eben jener<br />

Psychoanalytiker, mit dem Béla Balázs seit 1915 befreundet war, in seinen theoretischen Studien und<br />

Film-Analysen von Neugeborenen nachwies, fixiert „das Kind an der Mutterbrust während des<br />

Stillens unentwegt das Gesicht der Mutter [...], ohne die Augen abzuwenden, bis es schließlich an<br />

der Brust einschläft“. 99 Spitz erweitert außerdem Lewins Annahme eines visuellen<br />

95<br />

Kracauer, Theorie des Films, S. 223.<br />

96<br />

Baudry, „Das Dispositiv:“,S. 1065.<br />

97<br />

Vgl. Bertr<strong>am</strong> D[avid] Lewin, „Sleep, the Mouth, and the Dre<strong>am</strong> Screeen“, in: Psychoanalytic Quarterly, Nr. 15<br />

(1946), S. 419-434.<br />

98<br />

Baudry, „Das Dispositiv:“, S. 1065. „Dieses unausgefüllte Bild der abgeflachten Brust bleibt im späteren Leben<br />

als eine Art Hintergrund oder Projektionsschirm für unser Träume erhalten; die Bilder, die wir als visuellen<br />

manifesten Trauminhalt bezeichnen, werden ähnlich wie im Kino auf diesen Hintergrund, die Traumleinwand<br />

(dre<strong>am</strong> screen) projiziert.“ (Bertr<strong>am</strong> D[avid] Lewin, Das Hochgefühl. Zur Psychoanalyse der gehobenen,<br />

hypomanischen und manischen Stimmung. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1982, S. 79)<br />

99<br />

René A[rpad] Spitz, Die Entstehung der ersten Objektbeziehungen. Stuttgart: Klett, 1960, S. 24.<br />

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