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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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verbunden zu sein. Losgelöst, da die frühesten Ahnen von anderer Natur waren, als die Menschen<br />

heute sind: jene waren Schöpfer, diese sind Nachahmer; und verbunden, da sich seit dem Erscheinen<br />

der Ahnen nichts ereignet hat, es sei denn Ereignisse, deren Rekurrenz periodisch die Besonderheit<br />

auslöscht.“ 63<br />

Schon das Märchen löste Elemente des Mythos, der „Ursprungserzählungen“, in einer Sprache<br />

ritueller Wiedergeburt auf, einem unbegrenzten Zustand der Bewegung, in dem alles noch, oder alles<br />

wieder möglich ist. Anders als das Märchen aber führt das Kino Ritual und Erzählung in einem realen<br />

virtuellen Raum zus<strong>am</strong>men, einem imaginären Bildraum, der gesehen und geträumt wird. „Daß dieser<br />

Raum des Kinos das Moment embryonaler Regression beinhaltet, liegt auf der Hand: mütterlicher<br />

Raum, Chora. Die Kälte rührt daher, daß das treibende Motiv einer weiblichen, mütterlichen Zeit<br />

ganz aufgesogen ist in die Ästhetik des Films.“ 64 Doch dieser mütterliche Raum ist nicht nur ein Ort<br />

der Bewusstlosigkeit und der Regression, nicht nur ein Medium der Entmündigung sondern auch ein<br />

Ort der Freiheit. Mit Blick auf die frühe Zeit des Kinos - als dunkler Raum der „Unbewachtheit“ 65 -<br />

erinnert Heide Schlüpmann daran, „daß das Dunkel des Kinos nicht nur Regression, sondern auch<br />

das Sich-der-f<strong>am</strong>iliären-Kontrolle-Entziehen verheißt“ 66 , „eine andere Art des<br />

Erwachsenwerdens“. 67 Die Frage freilich, die sie stellt, ob nämlich zuerst Platons (und Baudrys)<br />

Höhle, oder nicht doch erst der Projektionsapparat dagewesen sein mag, ist sowenig zu<br />

beantworten, wie die Frage, ob das Kino an der Grenze von Schlafen und Wachen, oder zwischen<br />

Wachen und Schlafen liegt. Die Höhle und der Projektor, sie bilden zus<strong>am</strong>men einen Zustand der<br />

Dämmerung, den wir nicht verlassen wollen.<br />

Die schwerelose Odysee durch die „freundlichen Weiten“ des „kleinen Todes“, den der Zuschauer<br />

jedes Mal in der dunklen Höhle des Kinos stirbt, um wiederaufzuerstehen, ist die eigentliche<br />

Erzählung des Films. In einem seiner Essays über das Reisen spricht Balázs von der Verschränkung<br />

von Allmachts- und Ohnmachtsgefühlen als einer nächtlichen Erfahrung. „Daß man bei Reisen so<br />

kindische Empfindungen und Gedanken hat, könnte man vielleicht mit der Freudschen Theorie<br />

63<br />

Claude Lévi-Strauss, Das wilde Denken. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1981, S. 273 [Originalausgabe: La<br />

pensée sauvage, 1962].<br />

64<br />

Lehmann, „Die Raumfabrik“, S. 595.<br />

65<br />

Heide Schlüpmann, „Die Geburt des Kinos aus dem Geist des Lachens“, in: Psyche, Jg. 48, H. 11 (November<br />

1994), S. 1084.<br />

66 Ebd., S. 1086.<br />

67 Ebd., S. 1084.<br />

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