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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Menschen zu ihr. Und dennoch gibt es Dinge im Film, die ihren ganz besonderen Reiz darin haben,<br />

daß sie vom Menschen vollkommen unbeeinflußte, ursprüngliche Natur zeigen. So die Tiere und die<br />

Kinder.“ 36 Dieses Phänomen hatte auch Hans Richter in Der K<strong>am</strong>pf um den Film anhand einer<br />

Kinderaufführung des Rotkäppchen konstatiert: „Die Kinder folgten der Darstellung zunächst mit<br />

großer Spannung. Die Echtheit der Szene wurde mit Begeisterung aufgenommen und durch Zurufe<br />

aus dem Kinderpublikum begleitet. Als aber <strong>am</strong> Schluß der Wolf das Rotkäppchen ‘realistisch’<br />

auffraß, war die Wirklichkeitsgrenze überschritten, und viele Kinder verließen weinend das Haus.“ 37<br />

Doch welcher Art ist das Verhältnis von Realitätseindruck und Illusion im Kino, welcher Art die<br />

Besetzung der dargeboten Objekte? Christian Metz gibt darauf eine <strong>am</strong>bivalente Antwort.<br />

Das Publikum ist nicht getäuscht von der diegetischen Illusion, es „weiß“, dass die Leinwand nur eine<br />

Fiktion, nur Vorstellungsbilder zeigt. Aber dennoch wird erwartet, dass dieses „make believe“<br />

peinlich genau sein müsse, dass es ein „air of truth“ besitzt. Jeder sagt, dass er es nicht glaubt, aber<br />

alles ist so gemacht, als gelte es, den Zuschauer genau dahin zu bringen. Man glaubt es nicht, tut aber<br />

so, als glaube man es, und würde doch niemals zugeben, dass irgendetwas in einem es tatsächlich<br />

glauben würde. Und Christian Metz zitiert Octave Mannoni, der diese „switches of belief“ mit der<br />

Beobachtung eines Ethnologen verglichen hat, dessen Informanten aus unterschiedlichen Völkern ihm<br />

versichert haben, „that ‘long ago we used to believe in the masks’ (these masks are used to deceive<br />

children, like our Father Christmas, and adolesccents learn at their initiation ceremonies that the<br />

‘masks’ were in fact adults in disguise); in other words, these societies have always ‘believed’ in the<br />

masks, but have always relegated this belief to a ‘long ago’: they still believe in them, but always in<br />

the aorist tense (like everyone). This ‘long ago’ is childhood, when one really was duped by masks;<br />

<strong>am</strong>ong adults, the belief of ‘long ago’ irrigate the unbelief of today, but irrigate it by denegation (one<br />

could say: by delegation, by attributing credulity to the child and to former times).“ 38<br />

Metz unterscheidet den Voyeurismus des Kinos, und d<strong>am</strong>it die Angstlust im Beobachten des<br />

Schreckens, des Leids oder des Verbotenenen, von dem des Theaters. Anders als im Theater<br />

basiert der Film nicht auf einer exhibitionistischen Disposition. „The film is not exhibitionist. I watch it,<br />

but it doesn’t watch me watching.“ 39 Zuschauer und Schauspieler befinden sich nicht in einem Raum,<br />

36 Balázs, Der sichtbare Mensch, S. 108.<br />

37 Hans Richter, Der K<strong>am</strong>pf um den Film. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Fischer Taschenbuch, 1979 [1939], S. 120.<br />

38 Christian Metz, The Imaginary Signifier. Psychoanalysis and the Cinema. Bloomington: Indiana University<br />

Press, 1982, S. 73 [Originalausgabe: Le signifiant imaginaire, 1977].<br />

39 Ebd., S. 94.<br />

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