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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Reise zwischen den Welten bot, so erinnert der Jahrmarkt spielerisch an die Träume der Kindheit,<br />

die von einer homogenen, wunderbaren Welt handeln.<br />

Entstand der Jahrmarkt selbst in Mitteleuropa aus einer „dionysischen“ Tradition, den<br />

Mysterienspielen des Mittelalters, so hat auch das Kino nicht zufällig seinen Siegeszug auf dem<br />

Jahrmarkt begonnen. Und es hat sich von dessen zweifelhaftem Ansehen nur emanzipieren können,<br />

indem es ihm gelang, alle Elemente des „thrill“ in der Vollkommenheit der Distanz zu bannen, die<br />

keinen Schmutz, keine Vermischung, nichts „Klebriges“ mehr kennt. Das Kino ist Geisterbahn und<br />

Karussell, Zirkus und K<strong>am</strong>pfspiel, Gauklerbühne und Panoptikum zugleich. Der „kleine Tod“ des<br />

Initiationsritus ist hier zum reinen Wahrnehmungserlebnis geworden. Erst die „Augenlust recht<br />

eigentlich“ 33 ist philobatische Praxis in technischer Vollendung.<br />

Während der Oknophile „nichts schaut, [...] weil er seinen Objekten so nahe als möglich sein, oder,<br />

wenn Gefahr droht, die Augen schließen und den Kopf wegwenden muß“, kann und darf, ja muss<br />

der Philobat schauen, „weil er in der Distanz lebt und es nicht nötig hat, den Blick von einer<br />

nahenden Gefahr abzuwenden“. 34<br />

Was Balint über die Sensationen des Jahrmarktes schreibt, gilt erst recht für das Kino. Hier wird<br />

„eine Wiederholung des Traumas angeboten, wenn auch nur in einem Ausmaß, das für eine große<br />

Zahl Menschen eben noch tragbar ist, seien diese nun aktive Teilnehmer (jene, die sich auf die<br />

Vergnügungsmaschinerien hinaufgetrauen) oder passive Zuschauer“. 35 In dem Maße, wie das Kino<br />

auch jede nur hypothetische Gefährdung des angstlüsternen Teilnehmers ausschließt, vermag es<br />

zugleich die Illusion der Gefahr zu steigern. Prekär wird der philobatische „kleine Tod“ im Kino erst,<br />

wenn der Illusionscharakter, die Distanz zur anderen Wirklichkeit des Films, schlagartig unterbrochen<br />

wird, so wie dies der Fall ist, wenn Misshandlungen von Tieren oder Kindern gezeigt werden -<br />

Wesen also, denen selbst heute noch der filmgeübte Blick zumeist so etwas wie einen Stand der<br />

Unschuld, der Authentizität unterstellt. Die Distanz zur Phantasmagorie und d<strong>am</strong>it die lustvolle<br />

Hingabe an die Illusion ist dann möglicherweise nicht mehr aufrechtzuerhalten, der Zuschauer stürzt<br />

ab. Balázs hat dies selbst mit den Worten beschrieben, „daß es im Film - wie auch in jeder anderen<br />

Kunst - nicht auf die objektive ‘Natur an sich’ ankommt, sondern auf das persönliche Verhältnis des<br />

33 Häfker, Kino und Kunst, S. 42.<br />

34 Balint, Angstlust und Regression, S. 102.<br />

35 Ebd., S. 112.<br />

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