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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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„freie Westen“ und der „wilde Westen“ sind nur zwei entgegengesetzte Symbolisierungen derselben<br />

Utopie „freundlicher Weite“, in der es bloß der freien Unternehmung bedarf, um sicher zu existieren.<br />

Der Pionier dringt ins weite Land ein, dessen Bewohner er nur als störende, feindliche Objekte<br />

anzusehen vermag und entsprechend behandelt. Dabei nimmt er eigene Risiken gerne in Kauf, ja er<br />

fordert gesteigerte Angstlust geradezu heraus. „Eine Grunderfahrung des objektschwachen Typs ist<br />

Unerfülltheit. Er reist ohne anzukommen. Einer der typischen Frontiersmen, Andrew Jackson [...]<br />

war gequält von einer Todessehnsucht, die ans Selbstmörderische grenzte.“ 13<br />

Die feindlichen Objekte auf Distanz zu halten erfordert eine permanente Vervollkommnung der<br />

Techniken, die den Philobaten, den objektschwachen Typus, zum sicheren Flug durch den Raum<br />

befähigen. So scheint es, dass es sich bei der „Oknophilie“ um die „spontanere, fast reflexartige<br />

Haltung“ 14 , also eine primitivere Praxis handeln würde. Doch der notwendige Erwerb von Techniken,<br />

die den „Philobaten“ möglicherweise als den prototypischen Agenten des Fortschritts erscheinen<br />

lassen 15 , identifiziert Balint als „Progression um der Regression“ 16 willen: eine Fähigkeit zur<br />

Regression die im „Normalfall“ dabei hilft, den Durchgang durch eine extreme Situation zu<br />

überstehen, während sie in der Form einer pathologischen Störung des psychischen Gleichgewichts<br />

die Extremsituation wie in einem Wiederholungszwang immer wieder heraufbeschwört.<br />

„Die Fertigkeiten (skills), die er erwerben konnte, befähigten ihn, bis zu einem gewissen Grade die<br />

zerstörte Harmonie zwischen ihm und der Welt wiederherzustellen. Der Preis, den er dafür zu zahlen<br />

hat, scheint ein Zwang zu einer nie endenden Wiederholung des ursprünglichen Traumas zu sein, eine<br />

Art traumatischer Neurose. Um die Illusion der ‘freundlichen Weiten’ wiederherzustellen und die<br />

erregende Spannung (thrill) zu erfahren, muß er die Sicherheitszone verlassen und sich Risiken<br />

aussetzen, die das ursprüngliche Trauma erneut gegenwärtig machen. Wie wir wissen, können diese<br />

Risiken in pathologischen Fällen, vor allem in der Pubertät und Adoleszenz, unverhältnismäßig<br />

schwere sein.“ 17<br />

Dies ist wohl nicht nur in eindeutig „pathologischen“ Fällen so. Auch Balázs’ Jugendautobiographie<br />

ist voll von solchen Mutproben: Übernachtungen auf Berggipfeln, Besteigungen, die die Schwerkraft<br />

13 Raeithel, S. 49.<br />

14 Balint, Angstlust und Regression, S. 28.<br />

15 Über die Seele des Wanderers schreibt Balázs, sie sei „wie das freie Rad, das wankt und fällt, wenn es nicht rollt.<br />

Vielleicht sind solche Wanderseelen die Räder, auf denen die Welt, die auch noch lange nicht fertig ist,<br />

weiterkommt.“ (Balázs, Der Phantasie-Reiseführer, S. 13)<br />

16 Balint, Angstlust und Regression, S. 72.<br />

17 Ebd., S. 73.<br />

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