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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die verstörende Erfahrung der Kindheit, dass es außerhalb<br />

von uns selbst unabhängige Objekte gibt, die unseren Bedürfnissen und Wünschen Widerstand<br />

entgegensetzen, dass die Gegenstände in unserer Umgebung nach ihren eigenen, uns unbekannten<br />

Gesetzen funktionieren, dass zwischen Wunsch und Erfüllung ein komplizierter Prozess von<br />

Beobachtung, Aneignung und Handlungen liegt, Anforderungen, auf die wir reagieren müssen, die uns<br />

zu Überlegungen und Aktivitäten zwingen, die Erfahrung also, dass es eine „Welt“ gibt.<br />

Selma Fraiberg hat jene Lebensphase, die zwischen der Bewusstlosigkeit und simultanen<br />

Befriedigung der embryonalen Existenz und der Individuation, dem entwickelten Bewusstsein der<br />

Trennung von Subjekt und Objektwelt liegt, als „magische Jahre“ bezeichnet. Es ist dies keine „Zeit<br />

der völligen Dunkelheit und des ursprünglichen Chaos“ 5 mehr, sondern ein Beginn der<br />

Differenzierung der Sinneseindrücke. Doch die langs<strong>am</strong> ins Gesichtsfeld des Neugeborenen<br />

tretenden Objekte sind noch Teil einer gefühlten Einheit: zuerst innerhalb der Symbiose mit der<br />

Mutter, später in einer unmittelbar empfundenen magischen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt.<br />

„Wollen wir uns seine Welt vorstellen, dann können wir Analogien nur in der Traumwelt finden.<br />

Undeutliche Gegenstände schwimmen in das Gesichtsfeld, weichen wieder zurück und zergehen im<br />

Nichts. Ein menschliches Gesicht schwebt über dem Baby wie die Maske eines Geistes - und löst<br />

sich wieder auf.“ 6 Bedürfnisse rufen ihre Befriedigung, kaum artikulieren sie sich als Wunsch,<br />

scheinbar von selbst herbei: „[S]eine Mahlzeit kommt zu ihm wie jene unerschöpglichen Krüge in der<br />

Märchenwelt, die überfließen von berauschendem Saft, immer magisch zur Hand, wenn man sie<br />

braucht oder das magische Zauberwort ausspricht.“ 7 Und erst langs<strong>am</strong> lernt das Kind zwischen<br />

Wahrnehmungen und Vorstellungen, inneren und äußeren Bildern zu unterscheiden, löst sich die<br />

ursprüngliche Wahrnehmungsidentität von Vorstellungbildern und realer Befriedigung eines<br />

Bedürfnisses auf. Bis zur zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres wird es dauern, bis es verstehen<br />

wird, dass ein Gegenstand eine Existenz hat, auch ohne dass man ihn selbst wahrnimmt, dass ein<br />

Gegenstand, der aus dem Gesichtsfeld verschwindet dennoch weiter existiert und wieder erscheinen<br />

kann, auch ohne, dass man ihn selbst herbeigewünscht hat. Sigmund Freud hat diesen Lernprozess in<br />

seinem bekannten Beispiel des „Garnrollenspiels“ in Jenseits des Lustprinzips angedeutet, und wie<br />

Alfred Lorenzer zeigt, mit der Entstehung des Sprachsymbols verknüpft, der szenischen Einheit von<br />

„Fort“-sein, und „Da“-sein. 8<br />

5<br />

Fraiberg, Die magischen Jahre, S. 34.<br />

6<br />

Ebd., S. 33.<br />

7<br />

Ebd., S. 34.<br />

8<br />

Lorenzer, „Tiefenhermeneutische Kulturanalyse“, S. 54ff.<br />

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