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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Balázs’ Wanderer ist, auch in seiner Lakonik, ein enger Verwandter von Benj<strong>am</strong>ins sieben Jahre<br />

später auftretendem “destruktivem Charakter”, der nichts Dauerndes sieht, nur Wege, überallhin, und<br />

der daher selbst immer <strong>am</strong> Kreuzweg steht. “Der destruktive Charakter”, so schreibt Benj<strong>am</strong>in,<br />

“kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen. Sein Bedürfnis nach frischer Luft<br />

und freiem Raum ist stärker als jeder Haß.” 52 Doch während Benj<strong>am</strong>ins destruktiver Charakter, der<br />

positive Barbar 53 , sich den freien Raum, durch den er sich bewegen will, ohne Vorstellung von dem<br />

was sein wird erst zerstörerisch erkämpfen muss, das Bestehende in Trümmer legt um seine Wege<br />

hindurchzubahnen, ist dem Wanderer die Welt ein homogener Kosmos der Fremdheit, durch den er<br />

berührungslos hindurchzuschweben versteht. Die Dinge setzen ihm keinen Widerstand entgegen. Nie<br />

kommt er zur Ruhe, seine Bewegung hat kein Ziel, wohl aber eine Richtung, eine Sehnsucht, von der<br />

sie getragen wird. Balázs schildert die verschiedensten Möglichkeiten, sich durch das Land zu<br />

bewegen, doch ihre Differenz liegt nicht in der Form ihrer Bewegung, sondern in der Rezeption des<br />

durchmessenen Mediums. “Denn nicht wie sie über das Land gehen, sondern wie sie über das Land<br />

schauen, das macht es aus. Ihr Verhältnis zur Welt. Nicht verschiedene Gangarten sind das, sondern<br />

verschiedene innere Zustände.” 54 Der Wanderer ist der Distanzmensch schlechthin, der “geborene<br />

Fremdling. Er hat keine Heimat verloren, und kann auch keine finden. Denn er ist von Natur fremd<br />

und die Distanz zu jeder möglichen Umgebung ist der Kern seines Wesens.” 55 Entscheidend ist, dass<br />

er sich den Objekten nicht nähert, und sich darum auch nie von ihnen entfernen kann. Seine Distanz<br />

bleibt gleich, und so wird ihm auch nie etwas fremd. Der Wanderer kennt keine Entfremdung. Er ist<br />

immer mitten drin, überall gleich zu Haus. Zwischen den Objekten schwebend gibt es für den<br />

Wanderer nur Totalitäten. “Diese Distanz zu allen Dingen und Menschen ist seine Distanz zum Leben<br />

überhaupt und darum geschieht ihm, bei jeder zufälligen Begegnung, immer sein ganzes Schicksal.” 56<br />

Er lebt in einem Zwischenreich, wo die Kategorien von Nähe und Distanz nicht mehr gelten. “Er<br />

kann die Hand keinem reichen und doch erlebt er Menschen und Dinge bedeuts<strong>am</strong>er und tiefer als<br />

die anderen.” 57 Er hält sich Dinge und Menschen vom Leibe, bleibt allem Einzelnen fern, um aus der<br />

Distanz nur Ganzheiten erfahren zu können. Die Dinge hören auf, etwas für sich selber zu bedeuten.<br />

52<br />

Walter Benj<strong>am</strong>in, “Der destruktive Charakter” [1931], in: ders., Ges<strong>am</strong>melte Schriften. IV.I [werkausgabe Band<br />

10]. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1980, S. 396.<br />

53<br />

Vgl. dazu auch den wenig später geschriebenen Aufsatz Benj<strong>am</strong>ins “Erfahrung und Armut”.<br />

54 Balázs, Der Phantasie-Reiseführer, S. 9.<br />

55 Ebd.<br />

56 Ebd., S. 10.<br />

57 Ebd.<br />

316

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