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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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geworden.” 48 So kennzeichnet Balázs im Roman die kommenden Revolutionäre, die noch zu sich,<br />

das heißt zur Identität mit den Massen kommen werden. Doch Balázs selbst dementiert praktisch die<br />

allzu eindeutige Moral seines Buches. Auch mit dem Bekenntnis zum Kommunismus, auch mit der<br />

Teilnahme an der Revolution, der Massenkultur der Rätediktatur, ist Balázs’ innere Wanderung nicht<br />

abgeschlossen. Sich unterwegs zu befinden, nur Durchgangsstadien zu kennen, nur eine Folge von<br />

Übergängen, erscheint ihm Lebensentwurf und Schicksal zugleich.<br />

1925 veröffentlicht er in Wien ein Bändchen mit Feuilletons, kurzen Essays über das Reisen und<br />

Wandern, das anderswo sein. Anna Lesznai hat diesen Phantasie-Reiseführer. Das ist ein<br />

Baedeker der Seele für Sommerfrischler illustriert. Für Lukács war alles, was Balázs mittlerweile<br />

schrieb, in wachsendem Maße ideologische Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft 49 ,<br />

Korrumpiertheit und Lüge. Das Ergebnis waren freilich, nun im Negativen, ebenso groteske Urteile,<br />

wie manche seiner Elogen zehn Jahre zuvor. Und so war er auch, wie er später über den Baedeker<br />

der Seele schrieb, der “Meinung, dass dies nichts Anderes sei, als eine metaphysisch-aestethische<br />

Verklärung der Ruhebedürfnisse der Bourgeoisie”. 50<br />

Tatsächlich interpretiert Balázs in den Miniaturen dieses Buches sein Exil in leichtem Ton als<br />

wesenhafte Lebenshaltung, deutet, wie schon mit dem Konzept der Seelenwanderung, sein<br />

persönliches Schickal in eine Chance um, die jeder Mensch besitzt. Lukács hätte hinter diesen<br />

Texten wahrlich anderes entdecken können, als ein bürgerliches “Ruhebedürfnis”.<br />

Gleich die erste dieser Miniaturen, die einen meditativen, idiosynkratischen Blick auf das<br />

Heraustreten aus dem Alltag werfen, ist der Figur des Wanderers gewidmet. Ein progr<strong>am</strong>matischer<br />

Essay, keine Standortbestimmung, sondern die Bestimmung einer Bewegung - ein Text, in dem<br />

Balázs noch einmal, und vielleicht mit den luzidesten Worten, die er je gefunden hat, seiner<br />

“Weltanschauung” Ausdruck verleiht. “Er hat kein Heim, aus dem er einen Ausflug macht, und auch<br />

nicht, wie der Reisende, ein Ziel auf dieser Erde, die darum so schön ist. Gleich fremd sind ihm alle<br />

Orte. Er kennt kein Ankommen und kein Erreichen und nie werden ihm Menschen zur F<strong>am</strong>ilie.” 51<br />

48 Ebd., S. 420.<br />

49 1940 warf Lukács Balázs vor, “dass Du zu jeder Anpassung eine sie beschönigende Theorie erfandest und Dir<br />

selbst einzureden versucht hast, Du gingest dabei auf dem richtigen Weg [...], dass Du die Schaffung einer<br />

bürgerlichen Existenz nicht als blosses Mittel ansahst, Dir eine Atempause zum inneren Umbau möglich zu<br />

machen, sondern immer mehr in den Strudel der immer grössren Kompromisse und Anpassung geraten bis.”<br />

(Georg Lukács an Balázs, 31.1.1940, in: Balázs Béla levelei Lukács Györgyhöz, S. 184f. [Original in: Balázs -<br />

Nachlass, MTA, Ms 5018/180].)<br />

50 Ebd., S. 185.<br />

51 Balázs, Der Phantasie-Reiseführer, S. 8.<br />

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