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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Passion. Seine Ideologie der “Seelenwanderung” bietet ihm einen Halt und zugleich eine Möglichkeit,<br />

sein Judentum zu universalisieren. “Es gibt nur eins zu bedenken: dass mir, ‘dem Wanderer, dem<br />

Fremden, dem jüdischen Europäer’, das sehr weh tut. [...] Ich bin kein Ungar, in mir erwachen keine<br />

Rasseninstinkte. Doch auf der Straße der Seelenwanderung bin ich an ihnen vorbeigegangen, und ich<br />

habe mich mit meinem ganzen Herzen zu ihnen gesellt, ich bekannte mich zu ihrer Sprache, ihrer<br />

Kleidung, zu ihrer Sache und habe sie sehr geliebt. (Nicht die ungarischen Herren, sondern das<br />

Ungarische, dieses undefinierbare Etwas, was in Adys Gesängen und in den Kuruzenliedern<br />

glüht.)” 44<br />

Die Fremdheit, die Wanderung durch einen Kosmos der Distanz, indem er sich nur als Gast, als Bote<br />

einer anderen Welt versteht, wird von Balázs nun vollends zu seiner bewusst angenommen<br />

Existenzform erhoben. “Bist du ein Fremdling, so tust du gut daran, weiter zu wandern, um Distanz<br />

zu behalten. Denn das Gemüt ist klebrig und leicht entsteht die Lüge einer Scheinheimat. Wandere<br />

weiter und bleibe fremd.” 45<br />

Balázs’ Helden, sie sind meist unterwegs anzutreffen, irgendwohin und irgendwoher. “Uns ist eine<br />

Seele geboren, die hungert. Wir sind ausgewandert. [...] Wir müssen ein neues, anderes Leben<br />

beginnen.” 46 So spricht Klara in dem Roman, den Balázs nun, “ausgewandert” und unfreiwillig mit<br />

einem neuen Leben konfrontiert, endlich fertigstellt. Der Weg, die Reise, die Balázs’ Helden zu sich<br />

selbst zurücklegen müssen, führt durch die Fremde. Aber es scheint zuweilen, diese Fremde sei ihr<br />

wirkliches zuhause, der Weg selbst das neue Leben. Die Menschen, denen sie unterwegs begegnen,<br />

sind Reisebekanntschaften, Reisegefährten, und sie treten sich nicht zu nahe. Nichts wäre schlimmer,<br />

als vor der Zeit anzukommen, wo auch immer man gerade sei. “Man spricht von Weg und Ziel und<br />

Schicksal. Von den letzten Dingen. Aber gerade weil man in der Tiefe sich berührt, braucht man<br />

nicht an der ganzen Oberfläche aneinander zu kleben.” 47 Festzukleben, aneinander zu haften, nicht<br />

loszukommen, in diese Angst verwandelt nun Balázs’ Schmerz um die Trennung. “Negative<br />

Rebellen” seien sie alle, Auswanderer aus Prinzip.<br />

“Sie konnten und wollten in dieser bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr leben. Aber anstatt gegen sie<br />

zu kämpfen, zogen sie aus ihr fort. Auf die Landstraße. Flüchtige Vagabunden des Geistes sind sie<br />

44 Ebd., S. 360.<br />

45 Béla Balázs, Der Phantasie-Reiseführer. Das ist ein Baedeker der Seele für Sommerfrischler.<br />

Berlin/Wien/Leipzig: Zsolnay, 1925, S. 125.<br />

46 Balázs, Unmögliche Menschen, S. 144.<br />

47 Ebd., S. 109.<br />

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