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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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9.3 “Auf der Straße der Seelenwanderung bin ich an ihnen vorbeigegangen”<br />

Phantasie-Reiseführer und andere Leichtfertigkeiten<br />

Balázs versucht in Wien Fuß zu fassen und in Budapest Begonnenes zu Ende zu führen. Er trifft Max<br />

Reinhardt, betreibt die Aufführung seines Stückes Tödliche Jugend 29 , bearbeitet weiter seinen<br />

Roman 30 , verhandelt über ihn und die Märchen mit Verlegern, schreibt neue Ballette und dr<strong>am</strong>atische<br />

Szenen für Musikbegleitung 31 und wird in den Salon von Genia Schwarzwald 32 eingeführt, zu der er<br />

schon von Budapest aus Kontakt unterhielt. Er orientiert sich in den verschiedenen Wiener<br />

Kaffeehäusern und den entsprechenden St<strong>am</strong>mtischen, von Max Reinhardt bis zu Robert Musil, mit<br />

dem Balázs bald nähere Bekanntschaft schließen wird. 33<br />

Das Jahr 1920 geht so mit Experimenten und Gelegenheitsarbeiten vorüber. Anna erträgt einmal<br />

mehr Balázs’ Promiskuität, die nun auch noch ein unmittelbares literarisches Zeugnis findet. Nachdem<br />

Balázs schon mit René Spitz - bei dem Balázs und seine Frau später noch eine zeitlang Unterkunft<br />

finden werden - begonnen hatte, in eine geradezu sportliche Konkurrenz um kleinere Liebschaften<br />

einzutreten, lernt er Anfang 1920 im Salon von Genia Schwarzwald die dänische Schriftstellerin<br />

Karin Michaelis kennen - und eine Freundin von ihr, Maria Lazar. “Karin Michaelis hat mir nicht<br />

gefallen: mondaine Bourgeoise, schlecht gekleidet, ‘geschickt in Konversation’” 34 , während Maria<br />

28<br />

Lukács, “Reichtum, Chaos und Form: Ein Zwiegespräch über Lawrence Sterne”, in: ders., Die Seele und die<br />

Formen, S. 201.<br />

29<br />

Das Stück wird von der Neuen Wiener Bühne akzeptiert. Balázs soll selbst die Regie übernehmen. Doch die<br />

Nachrichten, die Karl Mannheim und Julia Lang aus Budapest mitbringen, mahnen zur Vorsicht. Balázs’ Helfer<br />

seien verhaftet worden, und man würde sicher auch in Wien nach ihm suchen. So ziehen sich Balázs und Anna<br />

nach Reichenau zurück.<br />

30<br />

Noch im Oktober 1920 ist davon anlässlich des Besuchs von Anna Lesznai die Rede, die ihm eigene Notizen<br />

überlässt, die er in den Roman einarbeiten will, um die Figur der Melusine zu gestalten.<br />

31<br />

So z.B. 1920 das Ballett “Die Schatten. Ein pantomimischer Bühnentrick” (Balázs -Nachlass, MTA Ms 5013/38),<br />

welches er zunächst Ernst Walt anbot, das dann aber offenbar von Franz Salmhofer vertont worden ist. Eine<br />

zweite Fassung des Balletts mit dem entsprechenden Hinweis findet sich ebenfalls im Nachlass, unter dem Titel<br />

“Die Schatten des Tempels. Ein Tanzspiel” (Balázs -Nachlass, MTA Ms 5013/39). Im November 1922 entstand die<br />

“Szene mit Orchesterbegleitung” mit dem Titel “Das Melodr<strong>am</strong>a”, der Monolog einer verlassenen Frau, die an ihre<br />

verzweifelte Liebe erinnert wird, sich in den Wahnsinn und schließlich den Tod verliert. (Balázs -Nachlass, MTA,<br />

verschiedene Fassungen unter Ms 5013/11; 5013/12 und 5013/17)<br />

32<br />

Genia (Eugenie) Schwarzwald (1872-1940), in Galizien geboren, Studium in Zürich, Dissertation über “Metapher<br />

und Gleichnis bei Berthold von Regensburg”, verheiratet mit Herman Schwarzwald, einem hohen Be<strong>am</strong>ten des<br />

Österreichischen Finanzministeriums, gründete verschiedene, zum Teil koedukative Reformschulen, Kinder und<br />

Landerziehungsheime und andere wohltätige Einrichtungen, führte in ihrer Wohnung in der Josefstädterstraße<br />

einen legendären Salon, zu dessen regelmäßigen Gästen Oskar Kokoschka, Jakob Wassermann, Rudolf Serkin,<br />

Rainer Maria Rilke, Adolf Loos, Egon Friedell und viele andere bekannnte Künstler und Literaten gehörten,<br />

unterstützte und beherbergte in ihrem Landhaus Helmstreitmühle Künstler und politische Emigranten, 1938<br />

Emigration nach Zürich.<br />

33<br />

Balázs wird Musil seinerseits mit René Spitz, vor allem aber 1928 mit Hugo Lukács bekannt machen, der Musils<br />

psychoanalytische Behandlung übernahm.<br />

34 Balázs, Napló 1914-1922, S. 374. Eintrag vom 10.3.1920.<br />

311

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