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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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wird schon im November in Wien von der Polizei unter Hausarrest gestellt. Die Horthy-Regierung<br />

verlangt seine Auslieferung, gegen die eine Gruppe deutscher Intellektueller mit einem Aufruf im<br />

Berliner Tageblatt protestiert. 7 Dass seine Auslieferung tatsächlich unterbleibt und der Hausarrest<br />

schon bald aufgehoben wird, hat vermutlich aber ganz andere Gründe. Die neue ungarische<br />

Regierung verlangt auch die Auslieferung der gemäßigt sozialdemokratischen Führer wie Boehm und<br />

Kunfi, die ebenfalls in Wien Asyl gefunden haben, und in deren “Schatten” 8 Lukács nun einen<br />

gewissen, unfreiwilligen Schutz genießt.<br />

Balázs klärt sein Verhältnis zum Kommunismus auf seine Weise. Der Kommunismus bleibt für ihn<br />

eine metaphysische Mission, ein Glaube, der zunächst sein künstlerisches Schaffen selbst und das<br />

Verhältnis zwischen der profanen Welt und ihren symbolischen, “sakralen” Formen verändern soll.<br />

“Es ist wahr, dass ich mich niemals wieder an Politik beteiligen will, wie ich es auch bisher nicht tat,<br />

weil sie nicht meine Sache ist. Für mich ist auch der Kommunismus Glaube und nicht Politik.” 9 Und<br />

wenig später heißt es: “Und trotzdem fühle ich, dass ich jetzt wirklich zu einem Kommunisten werde.<br />

Jetzt packt mich das Religionsfieber.” 10 Zugleich spürt er seine Angst davor, mit seinen<br />

revolutionären Freunden Kontakt zu halten und schämt sich dafür: “[K]ann man die Verbindung zu<br />

Edith lösen oder Gyuri nicht mehr treffen? Diese Freunde wie Leprakranke meiden, nur um zu<br />

vermeiden, auf der Liste irgendeines idiotischen ungarischen Detektivs zu sein?” 11<br />

Auch ein Jahr später sieht Balázs sich eher als Religionsgründer, denn als politisch bewusster<br />

Schriftssteller. Er sei nicht dazu da, schöne Bücher zu schreiben, “sondern um den neuen<br />

Menschen herzuzeigen und zu verkünden. Um aus meinem Glauben meine Religion herauszuschälen<br />

7 Den Aufruf, der <strong>am</strong> 12.11.1919 erscheint, hatten Franz Ferdinand Baumgarten, Richard Beer Hofmann, Richard<br />

Dehmel, Paul Ernst, Bruno Frank, Maximilian Harden, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Thomas Mann, Emil Praetorius<br />

und Karl Scheffler unterschrieben.<br />

Franz Baumgarten (1880-1927), Ästhetiker und Kritiker, hatte den Protest organisiert. Er st<strong>am</strong>mte aus einer<br />

ungarischen F<strong>am</strong>ilie und gehörte schon vor 1910 zu Lukács’ Freunden in Deutschland, wo er ihn mit Georg<br />

Simmel, Paul Ernst und anderen näher bekannt gemacht hatte.<br />

Thomas Mann, der Lukács im Januar 1922 persönlich kennenlernte und auch bei seinem Vater in Budapest<br />

mehrfach zu Gast war, wandte sich 1929, als Lukács’ erneut die Abschiebung drohte, direkt an den d<strong>am</strong>aligen<br />

österreichischen Bundeskanzler Seipel. “Ich kenne auch Lukács selbst”, heißt es darin nicht ohne gewisse Ironie.<br />

“Er hat mir einmal in Wien eine Stunde lang seine Theorien entwickelt. Solange er sprach, hatte er recht. Und<br />

wenn nachher der Eindruck fast unheimlicher Abstraktheit zurückblieb, so blieb doch auch derjenige der Reinheit<br />

und des intellektuellen Edelmutes.” (“Brief an Dr. Seipel”, in: Thomas Mann, Die Forderung des Tages. Berlin: S.<br />

Fischer, 1930, S. 416) Viele Motive der Gestalt des Naphta im Zauberberg gehen vermutlich auf ebendieses<br />

Gespräch zurück.<br />

8 Lukács, Gelebtes Denken, S. 114.<br />

9 Balázs, Napló 1914-1922, S. 354. Eintrag vom 4.12.1919.<br />

10 Ebd., S. 361.<br />

11 Ebd., S. 354.<br />

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