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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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in Wien eingetroffen, darunter wie Karl Mannheim, Julia Láng und Anna Lesznai auch viele<br />

Teilnehmer des Sonntagskreises, der 1921 in Wien eine, wenn auch eher sporadische,<br />

Wiederauflage erlebte. Auch Ljena, längst von Lukács getrennt, ist mit Hilfe von Lukács’ Schwester<br />

nach Wien geflohen, und geht wenige Jahre später in die Sowjetunion, wo sich ihre Spuren verlieren.<br />

Lukács lebt nun mit Gertrud Bortstieber 4 zus<strong>am</strong>men, einer alten Freundin mit der er seit 1918 eine<br />

Beziehung aufgebaut hat, die bis zu ihrem Tod 1963 halten wird.<br />

Anders als Lukács, nimmt Balázs in Wien <strong>am</strong> Aufbau der illegalen Parteiarbeit, an den Rankünen und<br />

Rivalitäten der verschiedenen kommunistischen Fraktionen in der Emigration, die sich schließlich vor<br />

allem zwischen Jenö Landler in Wien und Béla Kun in Moskau polarisieren, nicht mehr teil. Seine<br />

Distanz zu Lukács beginnt umso mehr zu wachsen, als Balázs versucht, in Wien kulturell Fuß zu<br />

fassen, während Lukács sich mit seiner ges<strong>am</strong>ten Existenz der Partei und ihrem K<strong>am</strong>pf um die<br />

Weltrevolution verschreibt. Balázs skizziert ernüchtert seine Wiederbegegnung mit Lukács: “Über<br />

Gyuri muss ich noch schreiben. Er bietet einen herzzerreißenden Anblick; totenblass, mit<br />

eingefallenen Wangen. nervös und traurig. Man beobachtet ihn, man spürt ihm nach, er geht mit<br />

einem Revolver in der Tasche herum, da er Grund hat anzunehmen, dass man ihn gewalts<strong>am</strong><br />

entführen will. In Pest wird er des Mordes in neun Fällen und der Anstiftung zum Aufruhr<br />

beschuldigt, und sie haben einen Beleg in der Hand. 5 Hier dagegen befasst er sich mit hoffnungsloser<br />

konspirativer Parteiarbeit, verfolgt die Spur veruntreuter Parteigelder, und sein philosophisches Genie<br />

wird unterdrückt wie ein unterirdischer Strom, der den Boden aufwühlt, aufweicht und zerstört. [...]<br />

Und jetzt kann er seinen Posten nicht verlassen, er muss aus ‘Anstand’ dort ausharren, wohin er gar<br />

nicht gehört. [...] Wenn das so ist, wird Georg Lukács, wie es scheint, sein Leben aus Anstand, als<br />

ethische Forderung, bis ans Ende in Lüge verbringen. Denn der aktive Politiker und Revolutionär<br />

Lukács ist eine Maske, eine Lüge. Das ist nicht seine metaphysisch verwurzelte Mission. Er ist zum<br />

stillen Gelehrten geboren, zum Visionär ewiger Dinge, und nicht dazu, in Eckcafés Leuten<br />

nachzuforschen, die gestohlene Parteigelder unterschlagen haben, nicht einmal dazu, die Strömungen<br />

der ephemeren Tagespolitik zu beobachten und auf die Massen wirken zu wollen, - einer wie er, der<br />

nicht mehr seine Sprache spricht, wenn er von mehr als zehn Menschen verstanden wird.” 6 Lukács<br />

3 Balázs, Napló 1914-1922, S. 347. Eintrag vom 4.12.1919.<br />

4 Gertrud Bortstieber (1882-1963) war schon als junges Mädchen mit Lukács’ F<strong>am</strong>ilie, insbesondere seiner<br />

Schwester Mici, bekannt. Sie folgte Lukács ins Wiener Exil, wo sie heirateten, studierte Ökonomie und<br />

unterrichtete später in Berlin an der Marxistischen Arbeiterschule.<br />

5 Gemeint war die Erschießung von Poroszló.<br />

6 Balázs, Napló 1914-1922, S. 353f. Eintrag vom 4.12.1919.<br />

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