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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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IX.<br />

Der Blick des Wanderers<br />

Erste Emigrantenjahre 1919-1922<br />

9.1 Flüchtlinge in Wien<br />

Anfang September gelingt es Lukács nach Wien zu fliehen. Seine F<strong>am</strong>ilie besticht einen Offizier der<br />

britischen Militärdelegation unter der Führung von Sir George Russel Clerk, die zu dieser Zeit in<br />

Budapest d<strong>am</strong>it beschäftigt ist, die rumänischen Besatzungstruppen zu mäßigen und<br />

Friedensverhandlungen vorzubereiten.<br />

Lukács erinnert sich daran, als Chauffeur des Offiziers getarnt worden zu sein. “Da ich aber nicht<br />

Auto fahren konnte, banden wir meinen Arm hoch, als hätte ich unterwegs einen Unfall gehabt, und<br />

der Offizier chauffierte das Auto.” 1<br />

Balázs und seine Frau halten sich, teils gemeins<strong>am</strong>, teils getrennt voneinander, noch drei Monate<br />

länger in Budapest in wechselnden Verstecken verborgen. 2 Am 16. November, die rumänische<br />

Armee hat Budapest inzwischen auf Druck der Alliierten geräumt, hält Admiral Horthy triumphalen<br />

Einzug in Budapest. Bald darauf gelingt es auch Balázs und seiner Frau, auf einem Schiff versteckt,<br />

auf der Donau nach Wien zu fliehen - mit dem Pass seines ungeliebten Bruders Ervin, “maskiert mit<br />

Backenbart, gefärbtem Schnurrbart und Augenbrauen, das Haar geglättet (mit dem Zwicker auf der<br />

Nase hatte ich eine abscheuliche, jüdische Vertreter-Visage). Ist es nicht traurig, dass man das aus<br />

mir mit Schminke machen kann? Vielleicht doch leicht decouvrierend? Wenn auch nicht für mich,<br />

doch für die Rasse” 3 , notiert der innerlich tief verletzte Flüchtling in sein neues Tagebuch, das er in<br />

Reichenau, südwestlich von Wien <strong>am</strong> Fuß der Rax-Alpe, zu schreiben beginnt. Aus dem<br />

“ungarischen Dichter” ist ein politischer Emigrant geworden.<br />

Balázs und Anna werden in Wien von Edith Hajós begrüßt, die, mittlerweile Mitglied der KPDSU,<br />

aus Moskau gesandt ist, um mit den geflohenen kommunistischen Führern aus Budapest wieder<br />

Kontakt aufzunehmen. Viele Angehörige von Balázs’ und Lukács’ Bekanntenkreis sind mittlerweile<br />

1 Lukács, Gelebtes Denken, S. 111f.<br />

2 Mit Anna Lesznais Hilfe gelang es Balázs zunächst, in einem katholischen Priesterseminar unterzutauchen.<br />

Danach dienten wechselnde Privatwohnungen von Bekannten als Versteck.<br />

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