12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

links-, mal als rechtsabweichlerisch gebrandmarkte) „Sektierertum“ 171 , so wie auch Lukács selbst<br />

später, von einem freilich umso doktrinäreren Standpunkt aus, über seine Tätigkeit als<br />

Volkskommissar und die Politik der Diktatur insges<strong>am</strong>t kritisch geurteilt hat. „Es wurden Versuche<br />

unternommen, die grundlegend richtig waren, deren Durchführung jedoch auf naive Weise erfolgte,<br />

Versuche, den Warencharakter der Kunstwerke zu beseitigen und sie aus dem Warenverkehr<br />

herauszuziehen, das heißt, wir wollten den für den Kapitalismus charakteristischen Warencharakter<br />

des Künstlers und der Kunst beseitigen. [...] Es ist offensichtlich, und kurze Zeit nach der Diktatur<br />

sahen wir das auch bereits ganz deutlich, daß das eine naive Sache war, und es wäre lächerlich, dies<br />

als kommunistische Maßnahme zu verteidigen.“ 172 Lukács kennzeichnete vor seinem Tod durchaus<br />

scharf die messianischen Erwartungen, die er d<strong>am</strong>als hegte. Unzufrieden seien sie gewesen, „daß die<br />

Diktatur nicht in Meilenschritten jenes Paradies auf Erden schuf, als welches wir den Kommunismus<br />

... wenn ich Paradies auf Erden sage, so muß man sich dieses auf sehr sektiererisch-asketische<br />

Weise vorstellen. Es ging absolut nicht um das Schlaraffenland, wo Milch und Honig fließen, sondern<br />

um die Veränderung der entscheidenden Lebensfragen.“ 173<br />

In den 133 Tagen der Rätediktatur war keine Zeit, die Wirkungen dieser Politik zu entfalten. So<br />

radikal die Politik des Volkskommissariats bestrebt war, jede Spur marktförmiger Konstitution des<br />

Kulturbetriebes auszumerzen, so wenig wollten Lukács und Balázs sich zugleich auf eine doktrinäre<br />

Revolutionskunst festlegen. An die Spitze der entscheidenden Gremien für die Musik setzten sie<br />

beispielsweise Bartók und Kódaly, zum Professor für ungarische Literatur und Weltliteratur an der<br />

Budapester <strong>Universität</strong> ernannten sie niemand anderen als den bürgerlichen Mihály Babits.<br />

Vor der Schriftstellervereinigung erläutert Balázs <strong>am</strong> 18. April 1919 die Grundsätze der neuen<br />

Literaturpolitik und kündigt an, die Zentralisation in der Literatur sei ein notwendiges<br />

Übergangsphänomen, wie es „von der kommunistischen Kultur eigentlich nicht beabsichtigt wird“. 174<br />

Stattdessen sei eine Selbstverwaltung durch die Schriftsteller geplant, die sowohl scharf zwischen<br />

Literatur und bloßem Journalismus trennen, vor allem aber über Veröffentlichung und Förderung der<br />

Literatur entscheiden müsse. Einnahmen aus dem Verkauf populärer Literatur dürften die Honorare<br />

für öffentlich angekaufte Werke nicht überschreiten. „Dadurch will die Regierung verhindern, daß<br />

171<br />

Vgl. Wladimir Iljitsch Lenin, „Der ‘linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, in: ders., Werke.<br />

Bd. 31, Berlin: Dietz, 1959, S. 1-106.<br />

172<br />

Lukács, Gelebtes Denken, S. 96.<br />

173<br />

Ebd., S. 95.<br />

174<br />

Laut einem Bericht des Pester Lloyd vom 18.4.1919, zitiert nach Kettler, Marxismus und Kultur, S. 39.<br />

295

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!