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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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D<strong>am</strong>it vollzieht Lukács theoretisch eine Wendung, die keinen Weg zurück mehr kennt. Der<br />

Klassenk<strong>am</strong>pf des Proletariats muss die Geschichte zu ihrem Ende bringen, die Entfremdung ein für<br />

alle mal aufheben. Der materielle K<strong>am</strong>pf muss die endgültige Erlösung in sich tragen, muss Weg und<br />

Ziel zugleich sein, muss Transzendenz und Immanenz versöhnen, d<strong>am</strong>it die schuldhafte Tat sich vor<br />

der Geschichte zu rechtfertigen vermag. Nur der objektive Geschichtsprozess, der rationalisierte<br />

Idealismus vermag die Entscheidung zu legitimieren und nur im unbedingten Vertrauen in die<br />

geschichtliche Notwendigkeit kann die vollbrachte Sünde vom Individuum getragen werden. Lukács<br />

wird bald Gelegenheit dazu erhalten, diesen Schritt unwiderruflich und individuell zu vollziehen.<br />

Am 16. November 1918 war eine Gruppe ungarischer Kriegsgefanger unter der Führung von Béla<br />

Kun 152 aus der Sowjetunion zurückgekehrt. Am 4. November hatten sie in Moskau im Hotel<br />

Dresden ihre Gruppe zur Kommunistischen Partei Ungarns erklärt. 153 Vorangegangen war die<br />

Entscheidung Lenins und der politischen Führung in Moskau, einen kleinen Teil der mittlerweile in<br />

den Reihen der Roten Armee, insbesondere in der Ukraine, kämpfenden und seit 1917 politisch<br />

geschulten Ungarn nach Budapest zu entlassen - mit der Perspektive, dort eine breite<br />

kommunistische Bewegung zu entfachen.<br />

Die Regierung Károlyi, an der sowohl die bürgerlichen Radikalen, wie auch die Sozialdemokraten 154<br />

beteiligt sind, steht unterdessen vor massiven Problemen.<br />

Erstens gelingt es nicht, mit den Siegermächten zu einem für Ungarn ertragbaren Friedensschluss zu<br />

kommen. Zweitens kommen die angekündigten freien und allgemeinen Wahlen nicht zustande.<br />

Drittens kommt die Demokratisierung der staatlichen Bürokratie nicht voran. Und viertens, und das<br />

Kommunisten die Sünden der Welt auf uns, um die Welt zu erlösen.“ (József Lengyel, Visegrádi utca [Visegrád<br />

Straße]. Budapest: Szépirodalmi Könyvkiadó, 1962, S. 246)<br />

Lukács hat sich auch im Alter von der impliziten Logik dieser Denkfigur nicht distanziert. Auf die auffallend<br />

vorsichtige Feststellung seiner Interviewer in Gelebtes Denken - „Ein wunderschöner Satz. Aber wie leider alle<br />

klugen und schönen Sätze, gibt auch er Gelegenheit zum Mißbrauch“ - gibt er unerschüttert zu Protokoll: „Einen<br />

Satz, der keine Gelegenheit zum Mißbrauch geben würde, gibt es nicht.“ (Lukács, Gelebtes Denken, S. 85)<br />

152 Béla Kun (1886-1939), geboren in Transylvanien und dort seit 1902 in der Sozialdemokratie, unter anderem als<br />

Autor der lokalen Parteipresse, aktiv. Vor dem Krieg als Angestellter der Arbeiter-Unfallversicherung tätig. Geriet<br />

als Soldat im 1. Weltkrieg in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1918 als kommunistischer Aktivist<br />

zurückkehrt. Nach dem Fall der Rätediktatur für kurze Zeit in Wien und ab 1920 in Moskau. Obwohl von Lenin als<br />

Linksabweichler eingeschätzt bekleidete Kun zahlreiche, oftmals prekäre Missionen (im Bürgerkrieg wie auch bei<br />

der sogenannten März-Aktion in Deutschland 1921), später als Präsidiumsmitglied der Komintern. Im Frühjahr<br />

1937 wurde er in Moskau im Rahmen der Prozesse verurteilt und k<strong>am</strong> vermutlich 1939 in der Gefangenschaft ums<br />

Leben.<br />

153 Vgl. zur Geschichte der Gruppe Béla Kuns und der ungarischen Rätediktatur das Buch von Tökés, Béla Kun<br />

and the Hungarian Soviet Republic.<br />

154 Zsigmond Kunfi leitet darin das Ministerium für Volksbildung.<br />

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