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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Ilona Duczynska 146 erinnerte sich 1921 daran, dass Lukács ihr gegenüber, verweisend auf<br />

Dostojewski, auch die Lüge als Mittel der Revolution gerechtfertigt hatte. Selbst die Mitglieder der<br />

Partei zu belügen, sei den Führern erlaubt, wenn es notwendig sei. Und dies sei das größte Opfer,<br />

das die Revolution von ihnen fordern würde. Lukács’ dialektische Theorie der Lüge sei zwar nicht<br />

publiziert worden, aber von Mund zu Mund als die Quintessenz des „wahren Kommunismus“<br />

gegangen. 147<br />

Publiziert hat Lukács schon Anfang 1919 seinen Aufsatz „Taktik und Ethik“, indem er seinen<br />

„Übertritt“ begründet und sich zur Unlösbarkeit des Konflikts zwischen erster und zweiter Ethik<br />

bekennt. Die Ethik der Tat entlässt den Revolutionär nicht aus dem Konflikt von Handeln und<br />

ethischer Norm, verschmilzt aber individuelle und kollektive Verantwortung, so dass jeder Versuch,<br />

sich der Schuld zu entziehen, vergeblich sei. „Jeder, der sich gegenwärtig für den Kommunismus<br />

entscheidet, ist also verpflichtet, für jedes Menschenleben, das im K<strong>am</strong>pf für ihn umkommt dieselbe<br />

individuelle Verantwortung zu tragen, als wenn er selbst alle getötet hätte.“ 148 Dies aber gelte auch für<br />

die „anderen“, für die Verteidiger der alten Ordnung. So ist die Schuld universell, erstreckt sich auf<br />

alles Unrecht, auch das, das man selbst nicht verhindert hat. Nur der vermag sich von ihr zu befreien,<br />

der sie im vollen Bewusstsein auf sich nimmt. „Morden ist nicht erlaubt, es ist eine unbedingte und<br />

unverzeihliche Schuld; es ‘darf’ zwar nicht, aber es ‘muß’ dennoch getan werden.“ 149 Die Sünde der<br />

Gewalt, der Herrschaft, der Diktatur kann nur im bewussten Opfer des Revolutionärs überwunden<br />

werden, der „seine Reinheit, seine Moral, seine Seele opfert“ 150 , wie Hebbels Judith: „‘Und wenn<br />

Gott zwischen mich und die mir auferlegte Tat die Sünde gesetzt hätte - wer bin ich, daß ich mich<br />

dieser entziehen könnte?“ 151<br />

Auch Lee Congdons Analyse von Balázs’ Tagebuch macht deutlich, dass die Attraktivität des Kommunismus<br />

gegenüber vielen Intellektuellen mehr auf kulturellen, als auf sozialen Utopien beruhte. Vgl. Congdon, The<br />

Making of a Hungarian Revolutionary.<br />

146 Ilona Duczynska (1896-1980), Publizistin, Übersetzerin, gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Galilei-<br />

Zirkels, nahm während des Krieges an der Konferenz von Zimmerwald teil und wurde in Ungarn wegen<br />

Antikriegspropaganda inhaftiert. 1919 Emigration und Heirat mit Karl Polányi.<br />

147 Siehe Borkenau, The Communist International, S. 172f. Borkenau zitiert einen Aufsatz von Duczynska aus der<br />

Zeitschrift Unser Weg, März 1921.<br />

148 Lukács, „Taktik und Ethik“, S. 50.<br />

149 Ebd., S. 53.<br />

150 Ebd.<br />

151 Ebd. Auch Rudolf Kassner hatte sich ähnlich geäußert. In seinem dialogischen Essay „Die Chimäre“ lässt er<br />

Lawrence Sterne über die Tat des Judas wie folgt urteilen: „Und sie mußte geschehen, denn sie war größer und<br />

verruchter als selbst Judas Ischariot Leben, und sie mußte von Judas getan werden, trotzdem daß des Judas<br />

Ischariot Leben imVergleiche mit ihr nichts bedeutet.“ (Rudolf Kassner, Die Chimäre. Der Aussätzige. Leipzig:<br />

Insel, 1914, S. 9) Über Judas wurde in der Diktatur auch im Haus der Sowjets diskutiert. Es sei, so erinnert sich<br />

József Lengyel an die Gespräche mit Lukács, „unsere blutige Arbeit, Christus zu kreuzigen. [...] So nehmen wir<br />

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