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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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unlösbare Aufgabe“ 140 sei) bestünde darin, dass die notwendigen Kompromisse das „Pathos des<br />

Wollens“ beeinträchtigen könnten, und schon <strong>am</strong> Ende des Aufsatzes ist genau dies geschehen. Denn<br />

Lukács schreibt, zur Demokratie gehöre es, bewusst den Anspruch aufzugeben, „die ganze<br />

Sozialdemokratie zu verwirklichen und nicht nur einen Bruchteil“. 141<br />

Die Gefahr des anderen Weges, der Diktatur und des Terrors, sieht Lukács hingegen darin, dass die<br />

Marx’sche Soziologie den Sieg über dessen Geschichtsphilosophie davontragen könnte. Der Sieg<br />

des Proletariats würde sich in eine Geschichte von Klassenkämpfen einreihen, die sich auch in die<br />

Zukunft fortsetzt, und Herrschaft lediglich durch neue Herrschaft ersetzt. Dann wäre „der ganze<br />

ideelle Inhalt des Sozialismus [...] nur Ideologie gewesen.“ 142 Es folgt ein lakonischer, seinen<br />

Charakter als metaphysisches Axiom offenbarender Satz: „Das aber ist unmöglich.“ 143 Lukács<br />

fordert stattdessen, daran zu glauben, dass der K<strong>am</strong>pf des Proletariats die Erlösung bringen muss,<br />

die „Selbstvernichtung der Unterdrückung“. 144 Die Entscheidung zwischen den Optionen der<br />

Demokratie und der Diktatur sei eine Frage des Glaubens, des ‘credo quia absurdum est’.<br />

Im Dezember 1918 - während im Deutschen Reich die Revolution eine Räterepublik denkbar<br />

erscheinen lässt, während die sowjetischen Truppen in der Ukraine in Richtung Polen vorstoßen - für<br />

einen kurzen historischen Augenblick, für einen Moment des absurden Glaubens an die messianische<br />

Erfüllung schien die Weltrevolution und d<strong>am</strong>it die Selbstvernichtung der Unterdrückung „auf einen<br />

Schlag“ tatsächlich eine reale Möglichkeit.<br />

Wundert es also wirklich so sehr, dass Lukács sich nur wenige Tage nach der Niederschrift seines<br />

Bekenntnisses zur Demokratie doch für die Diktatur, die andere Seite des Dilemmas entscheidet? Ist<br />

sein Beitritt zur kommunistischen Partei tatsächlich „ein atemberaubender und extrem unwirklich<br />

erscheinender Szenenwechsel“? 145<br />

140<br />

Ebd., S. 33.<br />

141<br />

Ebd., S. 32f.<br />

142<br />

Ebd., S. 32.<br />

143<br />

Ebd.<br />

144<br />

Ebd.<br />

145<br />

So (schon mit einigen Zweifeln versehen) Jörg K<strong>am</strong>mler, „Einleitung“, in: Georg Lukács, Taktik und Ethik.<br />

politische Aufsätze I. 1918-1920. Hg. von Jörg K<strong>am</strong>mler und Frank Benseler. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand,<br />

1975, S. 9. Die Frage nach den Gründen für Lukács’ „paradoxen“ Übertritt zum Bolschewismus erscheint weit<br />

weniger schwer zu beantworten, wenn Lukács’ Befürchtung zutrifft, das Proletariat hätte seine partikularen<br />

sozialen Interessen ohne das „Erlöser-Pathos“ nicht wirks<strong>am</strong> vertreten können. Lukács’ Beharren auf einer Nicht-<br />

Identität von Soziologie und Geschichtsphilosophie bei Marx sollte tatsächlich ernst genommen - und nicht als<br />

„‘progressiv-idealistische’ Perspektive“ denunziert werden, wie hier bei K<strong>am</strong>mler (S. 13), vor allem aber durch den<br />

späten Lukács selbst (siehe sein Vorwort von 1962 zur Theorie des Romans, oder die Gespräche in Gelebtes<br />

Denken).<br />

Dann freilich müssen revolutionäre Praxis und Ideologie unweigerlich auseinderbrechen und d<strong>am</strong>it auch in sich<br />

selbst fragwürdig werden - so wie es Lukács 1918 als Gefahr zu recht vermutet, und mit einem voluntaristischen<br />

„das aber ist unmöglich“ aus seinem Gesichtskreis verbannt.<br />

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