12.12.2012 Aufrufe

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

8.5 „...sich durchzulügen bis zur Wahrheit“<br />

Von der Revolution zur Diktatur<br />

Im Dezember 1918 veröffentlicht die radikal-liberale Zeitschrift Szabadgondolat (Gedankenfreiheit)<br />

Stellungnahmen ungarischer Intellektueller zum Bolschewismus. Auch Georg Lukács äußert sich. Ein<br />

letztes Mal fasst er seine Bedenken zus<strong>am</strong>men, die ihn vor dem entscheidenden „Übertritt“<br />

zurückhalten. Sein Fazit ist, so scheint es jedenfalls, eine klare Absage an den Bolschewismus. „Der<br />

Bolschewismus basiert auf der metaphysischen Annahme, daß aus dem Schlechten Gutes st<strong>am</strong>men<br />

kann, daß es möglich ist, sich [...] durchzulügen bis zur Wahrheit. Der Verfasser dieser Zeilen kann<br />

diesen Glauben nicht teilen, und darum sieht er in den Wurzeln der bolschewistischen Position ein<br />

unlösbares moralisches Problem.“ 136 Der Marxismus, so schreibt er, sei zugleich eine Soziologie der<br />

Klassenkämpfe und eine Geschichtsphilosophie der Erlösung. Doch beides sei keineswegs dasselbe.<br />

Nur das unbedingte „Wollen einer demokratischen Weltordnung [...] macht nämlich das Proletariat<br />

zum sozialistischen Erlöser der Menschheit, und ohne dieses Erlöser-Pathos wäre der beispiellose<br />

Siegeslauf der Sozialdemokratie nicht vorstellbar gewesen“. 137 Der Klassenk<strong>am</strong>pf als soziales<br />

Phänomen enthalte selbst noch nicht die neue, klassenlose Weltordnung. Lukács lehnt es ab, den<br />

Weg zu dieser klassenlosen Weltordnung über den Schritt des Terrors und der Klassenherrschaft<br />

(des Proletariats) zu gehen. Er plädiert stattdessen für den „langwierigen, lehrreichen, sehr<br />

verantwortungsvollen und seelisch ermüdenden K<strong>am</strong>pf, den man führen muß, wenn man sich zur<br />

Demokratie bekennt.“ 138 Und er rechtfertigt die daraus resultierende Notwendigkeit äußerlicher<br />

Kompromisse, aus denen niemals innerliche werden dürften. Dieser Heroismus des äußerlichen<br />

Verzichts erscheint ihm das größere Opfer.<br />

Lukács beschreibt beide Wege als gefährlich, „in beiden Entscheidungen [sind] furchtbare Sünden<br />

und die Möglichkeit maßloser Verirrungen verborgen [...], die man mit vollem Bewußtsein<br />

verantworten und auf sich nehmen muß.“ 139<br />

Betrachtet man dieses moralische Dilemma und wie Lukács es beschreibt, ist seine Stellungnahme<br />

weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein hat. Die Gefahr des zweiten, <strong>am</strong> Ende favorisierten<br />

Weges der Demokratie (der wie Lukács sagt, zwar „übermenschliche Kräfte verlangt“, aber „keine<br />

136 Ebd., S. 33.<br />

137 Ebd., S. 29.<br />

138 Ebd., S. 32.<br />

139 Ebd., S. 31.<br />

285

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!