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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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er wenige Jahre zuvor geschrieben hatte, und er erlebt, wie Mary Gluck schreibt, seine „inititation by<br />

fire“. 126<br />

„Die Menge wich zurück. Wir trieben sie mit uns vorwärts. Mali [Anna Lesznai], die dachte, ihr<br />

Mann marschiere an der Spitze, rannte wie eine gewaltige Walküre, die Menschen mit sich reißend,<br />

vorwärts. Mannheim ging blass und sich an mich kl<strong>am</strong>mernd, aber entschlossen mit. (Die anderen<br />

blieben zurück.) [...] Als wir das [Hotel] Ritz erreichten, k<strong>am</strong> uns berittene Polizei entgegen, die<br />

Menge wich nach hinten zurück und wir drei blieben auf dem leeren Platz vor der Déak-Statue allein,<br />

hinter uns wurde geschossen, vor uns lagen einige Leute auf dem Pflaster.“ 127 Und Balázs erinnert<br />

sich an das Schlachtfeld des Krieges. „Im Licht der Gasl<strong>am</strong>pen blitzten die Säbel, das bläuliche Licht<br />

der Revolver, Revolverschüsse knallten<br />

(Ein unimpressiver und hoffnungsloser Klang.) Eine irgendwie unentschlossen und fast verloren<br />

wirkende Schlägerei, in ihrer Ziel- und Richtungslosigkeit fast ‘idyllisch’. Es war ungeheuer fad und<br />

traurig. Die gleiche Melancholie, ohne jedes Fieber und Aufregung, wie auf dem Schlachtfeld.“ 128<br />

Am nächsten Tag geht Balázs mit Oskar Jászi zum Nationalrat, der im Hotel Astoria sein Quartier<br />

aufgeschlagen hat. Drei Tage lang verwandelt er sich in einen Aktivisten der Revolution, die <strong>am</strong> 1.<br />

November in die Ernennung Károlyis durch König Karl IV. und dessen Abdankung wenige Tage<br />

später mündet. Balázs richtet im Astoria ein Büro ein, beschlagnahmt Lieferungen, bringt Truppen<br />

unter, organisiert bewaffnete Ordnungskräfte und schickt sie gegen die Plünderer in die Vorstädte.<br />

„Am Freitag Vormittag stellte ich die Soldatenräte dem Armeeminister Linder vor und habe einen<br />

Stadtkommandanten ernannt. Fieberphantasie! Dabei die quälende Frage: wie komme ich hierher?<br />

Warum gerade ich? [...] Denn ich verstehe von diesen Sachen nichts.“ 129 Das Ganze erlebt er wie im<br />

Rausch. „Ein phantastischer Fieberwahn, den ich kaum beschreiben kann.“ 130 Drei Tage habe er<br />

nicht geschlafen und nicht nur er. „Der Stab der ganzen Revolution war eine Leichenhalle, unrasierte,<br />

ungewaschene Leute, heiser, mit dunklen Ringen unter den Augen, die sich kaum auf den Beinen<br />

126 Gluck, Georg Lukács and his Generation, S. 198. Eine Woche zuvor hatte Balázs noch darauf gewartet, dass<br />

etwas geschieht, das ihm, dem „Amateur“, die Entscheidung zum K<strong>am</strong>pf abnimmt. Und er hatte zugleich eine<br />

„verborgene Rokoko-Neigung“ an sich entdeckt, augerechnet während sich die „Welt von Grund auf umkehrt und<br />

man um uns Ungarn schachert wie die Schakale um das Aas [...]. Ich wünschte mir etwas Gutes, möchte auf<br />

seidenem Liegestuhl ruhen, in stark parfümierter Luft, farbiger Beleuchtung, glänzendem Pomp und möchte glatte<br />

(fremde) Frauenkörper streicheln, feine Liköre trinken und Musik, Gesang, Tanz und spielerisches, gutes Theater<br />

genießen. Jeden Abend. Und frierend spüre ich, dass es nicht geht.“ (Balázs, Napló 1914-1922, S. 332. Eintrag<br />

vom 22.10.1918)<br />

127 Balázs, Napló 1914-1922, S. 336. Eintrag vom 29.10.1918.<br />

128 Ebd., S. 337.<br />

129 Ebd., S. 338. Eintrag vermutlich im November/Dezember 1918.<br />

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