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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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1917 klagt Balázs, Mihály Babits habe über ihn und seine Gedichte (gemeint war der 1916<br />

erschienene Band Auf Tristans Schiff 116 ) gerurteilt, er sei „unrettbar deutsch“. „Ich hätte es gerne<br />

gehabt, wenn Gyuri darauf geantwortet hätte, vor allem um das Problem der ‘Deutsch-heit’ zu<br />

klären. [..] Der eingestandene französische Einfluss in der ungarischen Lyrik wird gerne gesehen,<br />

gegen die Nachahmung der Engländer durch Babits erhebt niemand seine Stimme [...], nur der<br />

deutsche Einfluss sei Tabu?“ 117<br />

Lukács antwortet 1918, und er stilisiert Balázs zum „erste[n] ungarische[n] Dichter, dessen<br />

entscheidendes Charakteristikum die Tiefe“ 118 sei, in dem sich die Metaphysik der deutschen und der<br />

russischen Literatur begegnen würden. Beide, die deutsche, wie die russische Literatur seien Babits<br />

fremd. „Hat es die Ursache, dass die ungarische Seele sich vor der Tiefe, der Tragödie fürchtet?“ 119<br />

Der von Balázs befürchtete Skandal blieb aus, und wenig später beteiligen sich Balázs und Lukács,<br />

über alle wachsenden Animositäten hinweg, an der Gründung der „Ritter-Europas“, eines Ordens<br />

„des Geistes und der Moral gegen jedweden Militarismus und Nationalismus“ 120 in Budapest,<br />

gemeins<strong>am</strong> mit Oskar Jászi und Mihály Babits. 121<br />

Währenddessen wird die Situation in Ungarn zusehends dr<strong>am</strong>atischer. Die soziale Lage und die -<br />

trotz der Russischen Revolution und der mit den Verhandlungen in Brest-Litowsk 122 beiderseits<br />

erreichten „Atempause“ - immer aussichtloser werdende militärische Lage der Mittelmächte führen in<br />

Ungarn <strong>am</strong> 18. Januar 1918 zum Ausbruch eines ersten großen Friedensstreiks und<br />

Massendemonstrationen. Die Zahl der organisierten Arbeiter und Angestellten hatte Ende 1917 mehr<br />

als 215.000 betragen 123 , sich d<strong>am</strong>it seit 1915 vervierfacht, Die Forderungen des Streiks umfassen<br />

einen annexionsfreien Frieden, die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts und die gesetzliche<br />

Verankerung des allgemeinen Wahlrechts. Die Regierung gibt unverbindliche Versprechen und die<br />

Leitung der Sozialdemokratischen Partei bläst den Streik ab, so dass nun innerparteiliche Konflikte<br />

116<br />

Béla Balázs, Tristan hajóján: Versek [Auf Tristans Schiff: Verse]. Gyoma: Kner, 1916.<br />

117<br />

Balázs, Napló 1914-1922, S. 228. Eintrag vom 28.5.1917.<br />

118<br />

Lukács, Balázs Béla és akiknek nem kell, S. 14f.<br />

119<br />

Ebd., S. 20.<br />

120<br />

Balázs, Napló 1914-1922, S. 317. Eintrag vom 15.7.1918.<br />

121<br />

Im Tagebuch spricht Balázs despektierlich über Babits und seine Freunde: „Eine feige und ungläubige Bande.<br />

Es reicht, wenn wir ihnen abkaufen, dass Internationalismus ihre Überzeugung ist.“ (Ebd.) Balázs’ Vorschlag, die<br />

Gruppe lieber „Diener Europas“ zu nennen, stößt offenbar nicht auf Zustimmung.<br />

122<br />

Im Frieden von Brest-Litowsk vom 3.3.1918 verzichtet Sowjetrussland auf seine Hoheit in Polen, Litauen und<br />

Kurland und erkennt die Ukraine und Finnland als selbständige Staaten an. Für das Deutsche Reich weckt der<br />

Friedensschluss noch einmal Hoffnungen auf die Möglichkeit militärischer Erfolge im Westen.<br />

123<br />

Zu diesem Zeitpunkt existieren in Budapest erste informelle „Arbeiterräte“. Die Organisation der technischen<br />

Intelligenz („Ingenieure“) unter Gyula Hevesi hat sich mittlerweile den Gewerkschaften angeschlossen.<br />

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