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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Lukács, der in Heidelberg seine Habilitation vorbereitete, hatte diesen Weg schon weitgehend<br />

beschritten, als der Krieg ihn nach Budapest zurückholte. Balázs’ Versuch hingegen, sich mit dem<br />

Ungartum zu identifizieren, war nur möglich um den Preis einer Identifikation mit dem Agressor, einer<br />

partiellen Annahme des Stigmas. Balázs’ immer wieder hervorblitzender Selbsthass projiziert sich -<br />

und dies ist kein ungewöhnliches Phänomen - auf andere, wie Miksa Fenyö, den Herausgeber des<br />

Nyugat („[...] und fielen über den kleinen Juden her, daß er sich wie ein Wurm krümmte und<br />

davonlief“ 82 ). Oder er gebiert das romantische Gegenbild des wahren Ungarn wie Endre Ady, über<br />

den er schreibt: „Mir stehen sein Temper<strong>am</strong>ent, seine vegetative Existenz viel näher als das, was ich<br />

bei meinen jüdischen Freunden kenne.“ 83<br />

Solche „vegetative Existenz“, das heißt eine Selbstverständlichkeit der Identität, eine<br />

Bewusstlosigkeit des Ausdrucks und des sich Hingebens an das Gefühl, schreibt Balázs den anderen<br />

zu und sprach es sich selbst ab. Auch unter seinen jungen „Freunden“ in Szabadka begegnet Balázs<br />

solchen Ausbrüchen des Selbsthasses. „Nur ich kann nicht weinen!“, so protokolliert er das Gebrüll<br />

eines jungen Mannes n<strong>am</strong>ens „Schwitzer“: „Uhh, diese falsche, fremde Stimme in meiner Kehle! Béla<br />

Balázs, Béla Balázs! Hol’ diese Stimme aus meiner Kehle. Nur eine einzige Träne sollst du aus mir<br />

herauspressen [...] Ich hässlicher Stinkjude kann nicht weinen.“ 84<br />

Balázs reproduziert die antijüdischen Klischees seiner Zeit auch in subtilen Details, so wenn er im<br />

Tagebuch warnend „hofft“, „dass der Pester Lipótváros [der Bezirk Leopoldstadt, gemeint ist das<br />

„jüdische Budapest“] die Literatur nicht monopolisiert.“ 85<br />

1917 erschien Péter Ágostons Schrift A zsidók útja (Der Weg der Juden) 86 , eine von Werner<br />

Sombart beeinflusste soziologische Studie über die Rolle der Juden in der ungarischen Gesellschaft,<br />

die eine heftige Kontroverse auslöste. In defensiver Absicht warnte Ágoston die ungarischen Juden<br />

davor, sich als Nationalität zu verstehen und d<strong>am</strong>it die Balance zwischen der ungarischen und<br />

anderen Nationalitäten im Vielvölkerstaat noch weiter zu ungunsten der Ungarn zu verschieben. Er<br />

82 Balázs an Georg Lukács, Ende Mai 1910, in: Lukács, Briefwechsel, S. 122.<br />

83 Balázs, Napló 1914-1922, S. 151. Eintrag vom 27.3.1916. Balázs ekelt sich zugleich vor Ady, seiner Trunksucht<br />

und seiner „widerlichen Krankheit“ (ebd., Eintrag vom 30.3.1916), von der Ady schon schwer gezeichnet ist und<br />

an der er Anfang 1919 sterben wird.<br />

84 Ebd., S. 59. Eintrag vom 9.5.1915.<br />

85 Ebd., S. 32. Eintrag vom 19.3.1915. In der Leopoldstadt wohnten besonders viele jüdische Großbürger, was dem<br />

Bezirk den Ruf eintrug, das „jüdische Budapest“ zu symbolisieren.<br />

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