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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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sich dem Begriff der „Schönheit“ entziehe 45 , so nähert er sich doch in der „Todesästhetik“ einem<br />

Pansymbolismus der Dinge an, der auch vor dem „anorganischen Leben“ nicht halt macht, vor dem,<br />

wie Gilles Deleuze später schreiben wird, „mächtigen nichtorganischen Leben der Dinge“: jenem<br />

„entsetzlichen Leben, das von der Selbstbeschränkung und den Grenzen des Organismus nichts<br />

weiß...“. 46 Es ist dies der Animismus des Films, der auch Balázs’ Ästhetik des Kino „beseelen“ wird,<br />

und nicht nur des expressionistischen Films, auf den sich Deleuze hier im besonderen bezieht: „Jenes<br />

unheimliche Pathos, das der Verlebendigung des Anorganischen anhaftet“, wie Wilhelm Worringer in<br />

seiner im Januar 1907 angenommenen Dissertation Abstraktion und Einfühlung schrieb. „Diese<br />

Unruhe, dieses Suchen hat kein organisches Leben, das uns sanft in seine Bewegung hineinzieht, aber<br />

Leben ist da, ein starkes hasterfülltes, das uns zwingt, glücklos seinen Bewegungen zu folgen. Also<br />

auf anorganischer Grundlage eine gesteigerte Bewegung, ein gesteigerter Ausdruck.“ 47 Wilhelm<br />

Worringers Studie erwies sich bald als folgenreich, als Antizipation, ja als theoretische Grundlegung<br />

des Expressionismus und der abstrakten Kunst.<br />

Noch bleibt dies, in Balázs’ Vortrag im Januar 1907 48 , eine Ahnung, eine Ästhetik der Traumbilder,<br />

in denen Tod und Leben einander Gestalt geben und zugleich die Grenzen von Subjekt und Objekt<br />

aufheben:<br />

„Irgendwo fällt ein Blatt vom Baum, eine Wolke zieht irgendwo vorüber, irgendwo weint eine Frau,<br />

irgendwo schweigt ein Mann. Dies alles ist Eins; dies alles ist mein Leben, [...] eins mit mir.“ 49<br />

Zu dieser Ästhetik des Traums, der bewegten Bilder, gehört auch ein Verweis auf den Rezipienten:<br />

„Wir haben ein Bild nur dann verstanden, wenn wir uns für einen Moment als sein Schöpfer, als<br />

Künstler fühlen.“ 50 Und Georg Simmels „Philosophie der Landschaft“ verwandt, beschreibt Balázs<br />

das „Naturschöne“ - wie auch die „Bilderfolge der Lebensäußerungen um uns herum“ -als<br />

44<br />

Georges Bataille, Das obszöne Werk. Reinbek: Rowohlt, 1977, S. 60.<br />

45<br />

Vgl. Balázs, „Halálesztétika“, S. 323.<br />

46<br />

Gilles Deleuze, Das Bewegungs-Bild. Kino 1. <strong>Frankfurt</strong> <strong>am</strong> <strong>Main</strong>: Suhrk<strong>am</strong>p, 1997 [Originalausgabe: Cinéma I.<br />

L’image-mouvement, 1983], S. 79; 77.<br />

47<br />

Wilhelm Worringer, Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. Neuwied: Heuser’sche<br />

Verlags-Druckerei, 1907, S. 74 (und fast in gleichem Wortlaut auch S. 104).<br />

48<br />

Anfang 1907 erschien unterdessen die erste deutschsprachige Filmzeitschrift: Der Kinematograph. Auch in<br />

Budapest erschien im selben Jahr eine Zeitschrift mit gleichem N<strong>am</strong>en. Bis zum Beginn einer ernsthaften Filmkritik<br />

sollten allerdings noch zwei Jahre vergehen. Vgl. Helmut H. Diederichs, Anfänge deutscher Filmkritik. Stuttgart:<br />

Verlag Robert Fischer + Uwe Wiedleroither, 1986, S. 36f. Zu den ersten ungarischen Veröffentlichungen und<br />

Diskussionen über den Film vgl. Zsuffa, Béla Balázs, S. 385-388.<br />

49<br />

Balázs, „Halálesztétika“, S. 307<br />

50 Ebd., S. 291.<br />

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