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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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Antisemitismus an Agressivität zunimmt. „Schade, dass ich Jude bin“, schreibt er <strong>am</strong> 25. Juni 1910<br />

an Lukács, „oder mich nicht schon längst habe taufen lassen, denn jetzt wäre ich dazu aus einem<br />

vielleicht unbegründeten, aber unbezwingbaren ‘Gefühl von Trotz, Selbstachtung oder Sch<strong>am</strong>’ nicht<br />

in der Lage.“ 72<br />

Als Balázs und Edith Hajós im Frühjahr 1913 heirateten, erschien ihm eine Konversion offenbar nicht<br />

mehr zu umgehen, denn Edith Hajós war getauft. 73 Lukács und Anna Lesznai hatten ihm zu der<br />

Heirat geraten und Balázs hatte die Konsequenzen gezogen. „Ich habe mich taufen lassen, meinen<br />

N<strong>am</strong>en magyarisiert und geheiratet. Also alles Akzidentielle meines Lebens verändert. Bin aus meiner<br />

alten Haut geschlüpft. Jetzt bin ich römisch-katholisch.“ 74 Lukács, der mit diesen Dingen<br />

pragmatischer umging - sie gehörten für ihn zu einer Welt bedeutungsloser Äußerlichkeiten - hatte<br />

schon im September 1907 seinen Übertritt zum Protestantismus hinter sich gebracht 75 , seine formale<br />

jüdische Zugehörigkeit wie einen nutzlosen Ballast abgestreift. Doch weder ihm noch Balázs hatte<br />

dieser Schritt wirklich geholfen. Schon im Sommer 1913 notiert Balázs ins Tagebuch: „Meine<br />

Konversion hat mir keinen Vorteil gebracht. Nur Nachteile. Die Juden sind böse auf mich und in den<br />

Augen der ‘Christen’ bleibe ich doch nur ein Jude. Mein Bruder hat wegen mir sein jüdisches<br />

Stipendium verloren.“ 76 Und er hört auch aus Szeged, wo seine Mutter bis zu ihrem Tod im Oktober<br />

1913 lebte, von Eszter Löws Reaktion. „Sie war außer sich. Ich spüre, dass ich sie verletzt habe.<br />

Und als ich davon hörte, hat es mich für eine Minute auch verletzt. Jetzt, und erst jetzt haben wir uns<br />

verloren. [...] Für Eszter Löw - war ich verloren.“ 77<br />

Balázs’ und Lukács’ Schritt war freilich keineswegs ungewöhnlich. Schon ihre ökonomisch zum Teil<br />

so erfolgreiche Elterngeneration war auf dem Wege der Assimilation sehr weit gegangen. Weder die<br />

Verleihung von Adelstiteln, noch die Magyarisierung der N<strong>am</strong>en (so z.B. die Verwandlung von<br />

Löwinger in Lukács), nicht einmal der weitestgehende Schritt, die Konversion, hatte <strong>am</strong> Stigma der<br />

ungarischen Juden substantiell etwas ändern können. Anna Lesznai hat den alltäglichen<br />

Antisemitismus der ungarischen Gesellschaft in Spätherbst in Eden anschaulich beschrieben, den<br />

72 Balázs ans Georg Lukács, 25.6.1910, in: Balázs Béla levelei Lukács Györgyhöz, S. 21.<br />

73 Erst 1895 wurde die jüdische Religion, nachdem sich die verschiedenen jüdischen religiösen Richtungen geinigt<br />

hatten, staatlicherseits formell anerkannt, so dass Heiraten zwischen Juden und Nicht-Juden (bzw. getauften<br />

Juden) ohne Konversion möglich wurden.<br />

74 Balázs, Napló 1903-1914, S. 601. Eintrag vermutlich im Juli 1913.<br />

75 Im selben Monat hatte Lukács eine Stelle bei der Kommerzialbank in Budapest angetreten.<br />

76 Ebd., S. 602.<br />

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