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Frankfurt am Main - KOPS - Universität Konstanz

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zu verrichten, wie wenn er seine Steuern beim Finanz<strong>am</strong>t zahlte. Doch gerade das machte auf mich<br />

den Eindruck eines geheimnisvollen höheren Zwangs, der Vater sogar gegen seinen Willen<br />

beherrschte.“ 65<br />

Balázs ist nicht fähig, mit seinen Schulk<strong>am</strong>eraden über dieses Erlebnis zu sprechen. So sondert seine<br />

Erfahrung ihn von seinen Freunden ab, macht ihn selbst zum Teil des Geheimbundes, der ein Tabu<br />

über ihn verhängt hat. Spielend übertrifft er seinen Vater, der sich <strong>am</strong> Versöhnungstag 66 nach<br />

Ableistung „seiner staatsbürgerlichen Pflicht“ 67 zu Tisch setzt, indem er sich in Gegenwart seiner<br />

speisenden F<strong>am</strong>ilie und d<strong>am</strong>it „unter sportmäßig absichtlich erschwerten Umständen“ 68 an das<br />

Fastengebot hält. Balázs’ Schilderung verrät natürlich, dass er als Kind über die Regeln und Gesetze<br />

jüdischen Lebens durchaus näher Bescheid wusste, als seine Beschreibung der Zeremonie in der<br />

Synagoge zugibt. Doch eine Identifikation mit jüdischer Gemeinschaft k<strong>am</strong> auf diesem Wege<br />

dennoch nicht zustande.<br />

Bei der Einschulung wird auch er gezwungen, sich zu definieren. Seine Nichtteilnahme <strong>am</strong><br />

evangelischen Religionsunterricht nötigt ihm ab, „verwundert, mit beklommenem Herzen und<br />

verständnislos [zu] erwidern: ‘Weil ich ein Jude bin’.“ 69 So fühlt er sich letztendes „aus einer<br />

Gemeinschaft ausgeschlossen [...], ohne zu einer anderen zu gehören“. 70 Immer wieder versucht der<br />

junge Herbert Bauer aus seiner Außenseiterexistenz auszubrechen, den Patriotismus seiner<br />

ungarischen Umwelt und den Radikalismus eines liberalen Jugendfreundes zu übertreffen, mit dem<br />

Erfolg, <strong>am</strong> Ende alle Freunde zu verlieren. 71 Denn diese haben es gar nicht nötig, so stellt er bestürzt<br />

fest, ihre Ideologien ernstzunehmen, sich selbst und anderen ihre Treue zu beweisen.<br />

So definiert Balázs selbst seine jüdische Existenz weitgehend negativ, als Nicht-Identität, als ein<br />

zwischen die Gemeinschaften Geworfen-sein, als produktive Vereins<strong>am</strong>ung. Mit dem Judentum<br />

verbindet ihn fortan vor allem ein Tabu, eine unaussprechliche Solidarität, die ihm verbietet, seine<br />

Herkunft zu vergessen, auch und gerade als in Ungarn mit der wachsenden antiliberalen Reaktion der<br />

64<br />

Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 11.<br />

65<br />

Ebd., S. 71f.<br />

66<br />

Jom Kippur: der höchste Feiertag im Jüdischen Kalender, der auch von vielen nicht observanten Juden<br />

begangen wird. An diesem Tag bekräftigen die Juden ihren Bund mit Gott und vergeben sich gegenseitig ihre<br />

aneinander begangenen Verfehlungen. An diesem Tag herrscht für Gläubige strenges Fasten und das Verbot zu<br />

arbeiten.<br />

67<br />

Ebd., S. 72.<br />

68<br />

Ebd.<br />

69<br />

Ebd., S. 73.<br />

70<br />

Ebd.<br />

71<br />

Vgl. Balázs, Die Jugend eines Träumers, S. 124ff.<br />

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